Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Verletztenrente aus der Unfallversicherung. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Eine (Teil-)Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist in voller Höhe als Einkommen nach § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 zu berücksichtigen. Der mit der Ausnahmeregelung in § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 für die Grundrente nach BVG bzw vergleichbare Grundrenten zum Ausdruck kommende Gesetzeswille, gezielt Entschädigungen für Sonderopfer von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen, kann nicht durch analoge Anwendung der Vorschrift auf die Verletztenrente umgangen werden.

2. Die Verletztenrente nach SGB 7 ist keine Einnahme, die nach § 11 Abs 3 Nr 1 oder Nr 2 SGB 2 von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen wäre. Von der Einkommenberücksichtigung kann auch nicht unter analoger Anwendung der Vorschriften des § 11 Abs 3 Nr 1 oder Nr 2 SGB 2 abgesehen werden.

3. Die Berücksichtigung der Verletztenrente in voller Höhe als Einkommen nach § 11 SGB 2 verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 05.09.2007; Aktenzeichen B 11b AS 15/06 R)

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die ungekürzte Berücksichtigung seiner Teilverletztenrente als Einkommen bei der Berechnung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Kläger ist verheiratet und lebt mit seiner Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt. Sie bewohnen eine 61 qm große Wohnung, für die sie monatlich 262,09 Euro Miete, 73,00 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 28,00 Euro Vorauszahlung für die Wärmeversorgung zahlen. In der Vorauszahlung für die Wärmeversorgung sind Kosten für die Warmwasserversorgung enthalten.

Der Kläger bezog bis zum 26. November 2001 Arbeitslosengeld. Seit einem 1992 erlittenen Arbeitsunfall erhält er von der Süddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft eine Teilverletztenrente nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Diese beträgt seit Juli 2004 324,93 Euro monatlich.

Die Ehefrau des Klägers erzielte im Januar 2005 ein Bruttoeinkommen iHv 603,86 Euro. Nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern iHv 108,40 Euro erhielt sie ein Nettoentgelt iHv 495,37 Euro. Im Februar 2005 erzielte sie ein Bruttoeinkommen iHv 511,20 Euro. Nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern iHv 80,76 Euro erhielt sie ein Nettoentgelt iHv 430,44 Euro. Im März 2005 erzielte sie ein Bruttoeinkommen iHv 659,13 Euro. Nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern iHv 125,06 Euro erhielt sie ein Nettoentgelt iHv 534,07 Euro. Im April 2005 erzielte sie ein Bruttoeinkommen iHv 642,20 Euro. Nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern iHv 119,98 Euro erhielt sie ein Nettoentgelt iHv 522,22 Euro. Sie fährt an neunzehn Arbeitstagen mit ihrem Pkw sieben Kilometer zur Arbeit. Für die gesetzliche Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung wendet sie umgerechnet 34,00 Euro monatlich auf.

Am 23. August 2004 beantragte der Kläger die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 7. Dezember 2004 für die Zeit vom 01. Januar 2005 bis zum 30. April 2005 zunächst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv 348,14 Euro. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2004 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein, da die Beklagte bei der Berechnung der Einkünfte der Bedarfsgemeinschaft seine Verletztenrente ungemindert als Einkommen angerechnet habe.

Die Beklagte führte eine Neuberechnung ihrer Leistungen, wiederum unter Anrechnung der vollen Verletztenrente, durch und bewilligte mit Änderungsbescheid vom 15. Februar 2005 für den vorgenannten Zeitraum Leistungen iHv 350,75 Euro monatlich. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2005 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 7. Dezember 2004 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 15. Februar 2005 zurück. Der Widerspruchsbescheid ging dem Kläger am 25. Februar 2005 zu.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 10. März 2005, am 14. März 2005 beim Sozialgericht Nordhausen eingegangen, Klage ein und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung der Bescheide vom 7. Dezember 2004 und vom 15. Februar 2005 sowie unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 23. Februar 2005, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Anrechnung der Verletztenrente zu zahlen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass seine Verletztenrente nicht ungemindert als Einkommen angerechnet werden dürfe. Sie müsse jedenfalls bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) unberücksichtigt bleiben. Die Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld vom 20. Oktober 2004 (Alg II-VO) sei verfassungsrechtlich bedenklich, da sie im Gegensatz zur Arbeitslosenhilfe-Verordnung 2002 vom 13. Dezember 2001 (Alhi-VO 2002) keinen an der Grundrente nach dem BVG orientierten Freibetrag und auch im Übrigen keine Här...

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