Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Verfahrensgebühr. beigeordneter Rechtsanwalt. Prozesskostenhilfebewilligungsbeschluss. abweichende Bestimmung zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Beiordnung. keine Berücksichtigung des Arbeits- und Zeitaufwands vor Wirksamwerden der Beiordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat das Gericht in seinem PKH-Bewilligungsbeschluss einen anderen Zeitpunkt der Beiordnung als den der Antragstellung bestimmt, gilt eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass im Rahmen der Gebührenhöhe für den Prozessbevollmächtigten der gesamte Arbeits- und Zeitaufwand auch vor dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Beiordnung in die Beurteilung einzubeziehen ist (§ 48 Abs 4 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes, juris: RVG).

 

Tenor

Die Beschwerde des Beschwerdeführers und die Anschlussbeschwerde des Beschwerdegegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 5. Februar 2019 (S 29 SF 3344/17 E) werden zurückgewiesen.

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein beim Sozialgericht (SG) Gotha anhängig gewesenes Verfahren (S 29 AS 5515/13) der vom Beschwerdeführer und Anschlussbeschwerdegegner (im Folgenden: Beschwerdeführer) vertretenen Klägerinnen zu 1. und 2.

Die Klägerinnen wandten sich mit der am 20. November 2013 erhobenen Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2012 (Ablehnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB II≫ für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2012) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2013 und beantragten die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Zur Begründung führte der Beschwerdeführer aus, die von der Beklagten berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) entsprächen nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Die nachgewiesenen KdU seien der Höhe nach angemessen und auch vollständig als Bedarf anzuerkennen. Zudem sei das Einkommen der Klägerin zu 1. falsch berechnet worden. Im Erörterungstermin am 16. November 2015, der von 14:00 bis 15:05 Uhr dauerte, wurden zwei weitere anhängige Verfahren der Klägerinnen verhandelt. Danach erfolgte weiterer Schriftverkehr. Am 24. März 2016 ging die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerinnen beim SG ein. Mit Beschluss vom 30. März 2016 bewilligte das SG den Klägerinnen ab dem 24. März 2016 PKH ohne Kostenbeteiligung unter Beiordnung des Beschwerdeführers. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. April 2016, der laut Niederschrift von 11:16 Uhr bis 11:17 Uhr dauerte, schlossen die Beteiligten einen Vergleich dahingehend, dass die Beklagte den Klägerinnen für Juli 2012 988,95 €, für August 2012 1.187,00 € und für September 2012 1.073,62 € nachzahlt. Ebenso verpflichtete sich die Beklagte an die Klägerin zu 1. für Oktober, November und Dezember 2012 jeweils 730,78 € nachzuzahlen. Am 2. März 2017 beschloss das SG, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben.

Am 3. Mai 2016 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung folgender Gebühren aus der Staatskasse:

 Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG

 320,00 €

 Erhöhungsgebühr Nr. 1008 VV RVG

 96,00 €

 Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG

 280,00 €

 Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG

 320,00 €

 Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG

20,00 €

 Zwischensumme

 1.036,00 €

 Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG

196,84 €

Gesamtbetrag

1.232,84 €

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) veranlasste am 3. Juli 2017 die Auszahlung des beantragten Betrages.

Hiergegen legte der Beschwerdegegner und Anschlussbeschwerdeführer (im Folgenden: Beschwerdegegner) Erinnerung ein. Im PKH-Bewilligungsbeschluss sei ausdrücklich bestimmt, dass die Beiordnung erst ab dem 24. März 2016 erfolge. Tätigkeiten des Rechtsanwalts, die dieser vor dem 24. März 2016 entfaltet habe, blieben bei der Bemessung der aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren außer Betracht. Der aus der Staatskasse zu vergütende zeitliche Aufwand des Rechtsanwalts bleibe demnach erheblich hinter dem Normalfall zurück. Die aus der Staatskasse zu erstattende Verfahrensgebühr sei unter die Mittelgebühr abzusenken. Ebenso sei die Terminsgebühr nicht angemessen festgesetzt. Der Termin am 16. November 2015 bleibe unberücksichtigt; der Termin am 6. April 2016 habe gerade mal 1 Minute gedauert. Dies rechtfertige nur die Erstattung der Mindestgebühr. Dem trat der Beschwerdeführer entgegen.

Mit Beschluss vom 5. Februar 2019 hat das SG die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung auf 600,95 € festgesetzt. Nach dem Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. Juli 2015 (L 2 SF 11/15 B) seien Tätigkeiten vor dem 24. März 2016 nicht zu berücksichtigen. Bewilligungsreife für den Antrag auf PKH sei erst mit Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten. Die Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG sei in Höhe der hälftigen Mittelgebühr (=...

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