Entscheidungsstichwort (Thema)

Bezugnahme auf Tarifvertrag nach Betriebs(teil)übergang

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Auslegung einer vor dem 01.01.2002 vereinbarten Gleichstellungsabrede nach Betriebsausgliederung mit dem Ziel eines Tarifwechsels (im Anschluss an BAG v. 29.08.2007, 4 AZR 767/06, BAGE 124,34).

2. Ein Arbeitnehmer verwirkt sein Vertragsrecht auf Anwendung eines vor Betriebsübergang geltenden Tarifvertrages nicht schon deshalb, weil er einen Tarifwechsel nach Betriebsübergang erhebliche Zeit hingenommen hat. Der verpflichtete Betriebserwerber kann auf die Untätigkeit nicht vertrauen, wenn er sie selbst veranlasst hat.

 

Normenkette

PostPersRG § 21; BGB §§ 613a, 242; ZPO §§ 253, 256

 

Verfahrensgang

ArbG Erfurt (Urteil vom 18.02.2009; Aktenzeichen 4 Ca 1772/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 22.02.2012; Aktenzeichen 4 AZR 580/10)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 18.02.2009, 4 Ca 1772/08, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, welche Tarifverträge auf ihr Arbeitsverhältnis anzuwenden sind.

Am 01.09.1989 begründete die Klägerin ein Arbeitsverhältnis mit der Deutschen Post der DDR, das nach dem Beitritt gem. Einigungsvertrag auf die Deutsche Bundespost Telekom übergeleitet wurde. Die Deutsche Bundespost Telekom war eines der drei öffentlichen Unternehmen, die im Zuge der Postreform I aus der Deutschen Bundespost hervorgegangen sind.

Auf Grundlage des Formulararbeitsvertrages vom 16.07.1991 (Bl. 5 d. A.) wurde die Klägerin als Angestellte in Vollzeit beschäftigt. Dort ist vereinbart:

Für das Arbeitsverhältnis gelten die für das in Art. 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet vereinbarten Bestimmungen des Tarifvertrages für die Angestellten/Arbeiter der Deutschen Bundespost Telekom (TV Ang (Ost) bzw. TV Arb (Ost)) und der sonstigen für das genannte Gebiet vereinbarten Tarifverträge für die Angestellten/Arbeiter der Deutschen Bundespost Telekom in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart.

Das Tarifwerk der Deutschen Bundespost Telekom war abgeschlossen mit der Deutschen Postgewerkschaft, die später in der Gewerkschaft ver.di aufgegangen ist. Die Klägerin ist kein Gewerkschaftsmitglied.

Mit der Postreform II wurde die Deutsche Bundespost Telekom zum 01.01.1995 privatisiert und in die Deutsche Telekom AG (künftig DTAG) umgewandelt. Nach § 21 Abs. 1 PostPersRG vom 14.04.1994 wurde der Eintritt in die bestehenden Arbeitsverhältnisse und die Fortgeltung der für die Deutsche Bundespost Telekom geltenden Tarifverträge bis zum Abschluss neuer Tarifverträge angeordnet.

Der zunächst fortgeltende TV Ang-O/TV Arb-O der Deutschen Bundespost Telekom wurde mit Tarifvertrag zur Umstellung auf ein neues Bewertungs- und Bezahlsystem (NBBS), abgeschlossen mit der Gewerkschaft ver.di., zum 01.07.2001 aufgehoben. Gleichzeitig trat der mit ver.di abgeschlossene Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrag der DTAG in Kraft.

Die Klägerin hatte gegen die Anwendung der Tarifverträge der DTAG nichts einzuwenden. Nach § 11 Abs. 1 MTV in der Fassung vom 01.07.2001 betrug die regelmäßige Wochenarbeitszeit 38 Stunden. Nach § 38 Abs. 1 MTV verfallen beiderseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten ab Fälligkeit geltend gemacht werden.

Auf Grundlage des mit ver.di abgeschlossenen Tarifvertrages Beschäftigungsbündnis wurde die regelmäßige Arbeitszeit nach dem MTV mit Wirkung ab 01.03.2004 auf 34 Wochenstunden abgesenkt und ein Lohnausgleich für 35,5 Stunden vereinbart.

Zum 01.01.2004 hatte die DTAG die heutige V. Custumer Services GmbH (VCS), eine 100-%ige Tochtergesellschaft, gegründet, die u. a. das Call-Center-Geschäft betreiben sollte.

Die VCS vereinbarte mit der Gewerkschaft ver.di einen am 01.03.2004 in Kraft getretenen Tarifvertrag zur Umsetzung des Beschäftigungsbündnisses (UTV, Bl. 88 bis 98 d. A.). Für Mitarbeiter, die im Rahmen eines Betriebsüberganges von der DTAG zur VCS wechseln, gelten danach die Tarifverträge der DTAG in modifizierter Form. Die Arbeitszeitverkürzung bei der DTAG ab 01.03.2004 wurde nicht übernommen. Es blieb bei 38 Wochenstunden. Die Vergütung wurde auf 91,25 % abgesenkt.

Die Klägerin arbeitet im E.er Call-Center der DTAG „Outbound-Contact-Center”), das betriebsorganisatorisch zur Kundenniederlassung Spezial „KNL S”) gehörte. Zum 26.08.2005 veräußerte die DTAG das Call-Center an die VCS, die ihren UTV auf übergegangene Arbeitsverhältnisse anwendet. Zum 01.05.2007 veräußerte die VCS das E.er Call-Center an die Beklagte, eine Gesellschaft des B.-Konzerns. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden.

Die Klägerin war damals in Elternzeit. Nach ihrer Rückkehr wurde sie mit zwei Schreiben der VCS vom 20.07.2007 nachträglich über den Betriebsübergang gem. § 613 a BGB von der DTAG auf die VCS (Bl. 74 bis 79 d. A.) und von der VCS auf die Beklagte (Bl. 80 bis 86 d. A.) unterrichtet. Auf beide Schreiben wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. D...

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