Entscheidungsstichwort (Thema)

Wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Interessenabwägung bei unterbliebene Information des Arbeitgebers über ein laufendes Ermittlungsverfahren. Interessenabwägung bei rassistischen Äußerungen des Arbeitnehmers auf Facebook. Fehlende persönliche Eignung als Kündigungsgrund. Fehlende Rechts- und Verfassungstreue als Sicherheitsrisiko für eine Beschäftigung im sicherheitsempfindlichen Bereich. Umdeutung eines nichtigen Rechtsgeschäfts. Getrennte Anhörungsverfahren des Personalrats bei fristloser und bei fristgerechter Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst festzustellen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich" und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Dann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (st. Rechtspr. vgl. nur BAG 19.07.2012 - 2 AZR 989/11).

2. Soweit der Kläger die Pflicht verletzt hat, den Beklagten darüber zu informieren, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn geführt wurde, kann offenbleiben, ob dies ein Umstand ist, der an sich geeignet wäre, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, denn jedenfalls ergibt die Interessenabwägung diesbezüglich, dass die Kündigung allein hierauf gestützt unverhältnismäßig wäre.

3. Soweit der Kläger sich auf Facebook rassistisch und beleidigend geäußert hat, erfüllt dies allein unter verhaltensbedingten Gesichtspunkten betrachtet ebenfalls nicht die Voraussetzungen von § 626 Abs. 1 BGB. Die Kündigung wäre unverhältnismäßig. Es kann offen bleiben, ob das Verhalten des Klägers an sich geeignet wäre, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die erforderliche Interessenabwägung ergibt: Ist es allein das Verhalten des Klägers, was die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht, hätte es ausgereicht, Maßnahmen zu ergreifen, um dieses Verhalten abzustellen. Hier steht nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass der Kläger sich nicht durch eine Abmahnung hätte beeindrucken lassen und sein Verhalten geändert hätte, so dass eine Wiederholungsgefahr für die Zukunft nicht bestanden hätte. Dabei ist für die Bewertung des Sachverhaltes hinsichtlich dieses Gesichtspunktes auf die Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abzustellen. Nach 17 Jahren Bestand des Arbeitsverhältnisses ohne bekannt gewordene Beanstandungen, wäre dem Beklagten zumutbar gewesen, zunächst den Versuch zu unternehmen, die Vertragsstörung durch Abmahnung zu beheben. Soweit der Kläger die Pflicht verletzt hat, den Beklagten darüber zu informieren, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn geführt wurde, kann offenbleiben, ob dies ein Umstand ist, der an sich geeignet wäre, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, denn jedenfalls ergibt die Interessenabwägung diesbezüglich, dass die Kündigung allein hierauf gestützt unverhältnismäßig wäre.

4. Unabhängig davon, ob die rassistischen und beleidigenden Äußerungen des Klägers auf Facebook eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen können, kann aus dem Verhalten auf eine fehlende persönliche Eignung für die konkret auszuübende Tätigkeit geschlossen werden, wenn sich daraus ergibt, dass dem Kläger die erforderliche Verfassungs- und Rechtstreue fehlt und sich aus konkreten Tatsachen feststellen lässt, dass der Kläger nicht jederzeit die Gewähr bietet, seine Aufgaben vertragsgerecht zu erfüllen (arg. aus BAG 6.9.2012, 2 AZR 372/11).

5. Ein Sicherheitsrisiko, welches die Beschäftigung in einem sicherheitsempfindlichen Bereich ausschließt, liegt gem. § 5 Abs. 1 ThürSÜG u.a. vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 ThürSÜG) oder Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 ThürSÜG).

6. Gemäß § 140 BGB kann ein nichtiges Rechtsgeschäft, hier die außerordentliche Kündigung, in ein anderes dem mutmaßlichen Willen des rechtsgeschäftlich Handelnden umgedeutet werden, wenn dessen Wirksamkeitsvoraussetzungen vorliegen. Als solches kommt, dem mutmaßlichen Trennungswillen des Beklagten folgend, die ordentliche Kündigung in Betracht.

7. Hier liegen die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer ordentlichen Kündigung nicht vor. Diese wäre nach § 78 Abs. 4 Thü...

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