Leitsatz

Die Klage des Eigentümers eines beeinträchtigten Nachbargrundstücks auf Beseitigung einer Störung, die von dem Grundstück von Wohnungseigentümern ausgeht, ist gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu richten.

 

Normenkette

§ 1004 Abs. 1 Satz 1; § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG

 

Das Problem

  1. N ist Nachbar der Wohnungseigentumsanlage W. Er verlangt nach Scheitern eines vorgerichtlichen Schiedsverfahrens von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gemäß § 1004 BGB die Entfernung eines Holzflechtzauns (Antrag zu 1), das Zurückschneiden des Überwuchses wild wachsenden Weins und die Vermeidung künftigen Überwuchses (Antrag zu 2) sowie die Beseitigung einer Grundstücksvertiefung (Antrag zu 3).

    § 1004 BGB (Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch)

    (1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

    (2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

  2. Nach Beweiserhebung stellt sich überraschenderweise heraus, dass der Holzflechtzaun auf N's Grundstück errichtet ist! N entfernt daraufhin diesen und den wilden Wein selbst und erklärt den Rechtsstreit hinsichtlich der Anträge zu 1) und zu 2) für erledigt. Den Antrag zu 3) nimmt er zurück.
  3. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer schließt sich N's Erledigterklärung allerdings nicht an. Sie meint vor allem, N hätte die Wohnungseigentümer verklagen müssen. N will nun, dass die Erledigung vom Gericht festgestellt wird. Das Amtsgericht gibt dem Antrag auch statt. Dagegen richtet sich die Berufung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer.
 

Entscheidung

  1. Ohne Erfolg! N mache seine aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB folgenden Beseitigungsansprüche zu Recht gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geltend. Verantwortlich für die Beseitigung der Störung sei derjenige, der zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen verpflichtet sei (Hinweis auf BGH v. 1.11.2011, V ZR 193/10, NJW-RR 2011 S. 739 Rz. 12).
  2. Die Verantwortung für den Zustand des im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Grundstücks sei der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer auferlegt. Diese und nicht die Wohnungseigentümer müsste daher für die Einhaltung der Verkehrssicherungspflichten (Hinweis auf Jennißen, in Jennißen, WEG, 2. Aufl. 2010, § 10 WEG Rz. 66) und damit auch für den ordnungsgemäßen und gefahrfreien Zustand des Grundstücks sorgen.
  3. Dass N gem. § 910 BGB berechtigt war, den Überwuchs selbst im Wege eines Selbsthilferechts zu beseitigen, habe die Beseitigungsansprüche gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht ausgeschlossen (Hinweis auf BGH v. 13.1.2005, V ZR 83/04, NZM 2005 S. 318).
 

Kommentar

Anmerkung:

  1. Ein Dritter kann die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verklagen, wenn sie gemeinschaftsbezogene oder vergemeinschaftete Pflichten der Wohnungseigentümer in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum ausüben muss.
  2. Eine solche gemeinschaftsbezogene Pflicht ist es nach ganz herrschender Meinung, die Beeinträchtigung eines Nachbargrundstücks zu unterlassen (BGH v. 2.3.2012, V ZR 169/11, NZM 2012 S. 435 Rz. 14; Elzer/Riecke, in PWW, WEG, 9. Aufl. 2014, § 10 Rz. 26). Ob daneben die Klage auch gegen die Wohnungseigentümer gerichtet werden kann, ist hingegen streitig (dafür ist unter anderem Dötsch, IMR 2014, S. 338).

Was muss der Verwalter wissen?

  1. Die "Störereigenschaft" im Sinne der §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB folgt nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht, und setzt auch keinen unmittelbaren Eingriff voraus; erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht.
  2. Ob dies der Fall ist, ist in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festzustellen. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, eine "Sicherungspflicht", also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen, ergibt.
  3. Verlangt der Grundstücksnachbar"Unterlassung", wird er in der Regel dem Verwalter schreiben! Dieser muss die Wohnungseigentümer von dem Verlangen unterrichten. Ist das Verlangen "eilig" – eine Frage des Einzelfalls –, muss eine außerordentliche Versammlung der Eigentümer einberufen werden. Der Verwalter ist von Gesetzes wegen weder berechtigt noch verpflichtet, selbst etwas zu unternehmen.
 

Link zur Entscheidung

LG Saarbrücken, Urteil vom 04.07.2014, 5 S 107/13

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