Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Unterkunft und Heizung. Zusammenleben mit den Eltern in einer in deren Eigentum stehenden Wohnung. Berechnung der als Bedarf zu berücksichtigenden Unterkunfts- und Heizkosten

 

Orientierungssatz

1. Der Begriff des Mehrpersonenhaushalts im Sinne des § 42a Abs 3 S 1 Nr 1 SGB 12 ist weit auszulegen. Entscheidend ist, dass keine eigenständige Haushaltsführung neben oder unabhängig vom Haushalt der Verwandten stattfindet.

2. Zur Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft ist auf die nominale Differenz der abstrakten Angemessenheitsgrenzen abzustellen. Auf die tatsächlichen Aufwendungen kommt es nicht an.

3. Zur Berechnung der als Bedarf zu berücksichtigenden angemessenen Aufwendungen für Heizung ist in einem ersten Schritt der prozentuale Anteil der (berücksichtigungsfähigen) Unterkunftskosten an der Gesamtheit der (angemessenen) Unterkunftskosten zu bestimmen; der so bestimmte Prozentsatz ist dann von den (berücksichtigungsfähigen) Heizkosten zu tragen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.03.2021; Aktenzeichen B 8 SO 14/19 R)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, für den Zeitraum vom 01.07.2017 bis 30.09.2017 weitere Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 109,93 € monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte trägt 87 Prozent der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

3. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der zu gewährenden Kosten der Unterkunft und Heizung im Zeitraum 1.7.2017 bis 30.9.2017 streitig.

Der Kläger leidet unter einer autistischen Persönlichkeitsstörung. Ein Grad der Behinderung von 100 sowie das Merkzeichen B wurden festgestellt.

Der Kläger bewohnt einen 30 m² großen Wohnbereich im Dachgeschoss des abbezahlten Hauses seiner Eltern. Neben dem Schlaf- und Wohnraum verfügt der Bereich über ein weiteres Zimmer, das früher, als die Wohnung untervermietet wurde, als Küche eingerichtet war. Teile der Küche sind noch vorhanden. Der Raum wird überwiegend als Abstellfläche benutzt. Der Kläger nutzt den Kühlschrank, um dort seine Getränke zu lagern, isst aber gemeinsam mit seinen Eltern. Manchmal schauen der Kläger und seine Eltern gemeinsam Fernsehen. Sonst hält sich der Kläger meist in seinen eigenen Räumen auf. Im Haus wohnt außerdem der Bruder des Klägers mit seiner Familie. Alle Stockwerke und Wohnungen sind frei zugänglich. Ein förmlicher Mietvertrag zwischen dem Kläger und seinen Eltern wurde nicht geschlossen.

Mit Bescheid vom 24.4.2017 gewährte die Beklagte dem Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.8.2016 bis 30.9.2017.

Mit Änderungsbescheid vom 29.8.2017 teilte die Beklagte mit, für die Zukunft vom 1.7.2017 bis 30.9.2017 eine monatliche Leistung von 418,84 € zu bewilligen. Der Bewilligungsbescheid vom 24.4.2017 werde für diesen Zeitraum aufgehoben. Zur Begründung wurde auf eine ab 1.7.2017 geltende Gesetzesänderung verwiesen. Beigefügt war ein Berechnungsbogen für den Monat Juli 2017, dem sich folgende Berechnung entnehmen lässt:

Grundsicherungsbedarfs

Regelbedarf (§ 42 i.V.m. § 27a SGB XII): 409 €

Mehrbedarf gemäß § 42 i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII: 69,53 € Mehrbedarf Wasserbereitung nach § 42 i.V.m. § 30 Abs. 7 SGB XII: 9,41 €

Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 42 i.V.m. § 35 SGB XII)

Heizkosten (L.weg 10): 7,40 €

laufende Nebenkosten, Absetzungen Nebenkostenpauschale (L.weg 10): 12 €

Gesamtbedarf: 507,34 €

Einkommensermittlung § 82 SGB XII

Erstattungen/Gutschriften (Krankengeld): 88,50 €

Anrechenbares Gesamteinkommen: 88,50 €

Leistungsberechnung

Bedarf Grundsicherung: 507,34 € Einkommen: -88,50 € Grundsicherungsleistung: 418,84 €.

Gegen den Bescheid legte der Kläger am 29.9.2017 Widerspruch ein.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2017 zurückgewiesen. Die Kosten der Unterkunft nach § 42a Abs. 3 SGB XII seien für die Zeit vom 1.7.2017 bis 30.9.2017 in Höhe von monatlich in 19,40 € rechtmäßig gewährt worden. Seit dem 1.7.2017 sei der § 42a SGB XII neu in das Vierte Kapitel SGB XII eingefügt worden und enthalte eine spezielle Vorschrift zur Anerkennung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung im Bereich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. § 42a Abs. 3 S. 1 SGB XII begründe für leistungsberechtigte Personen, die nicht vertraglich zur Tragung von Unterkunftskosten verpflichtet seien und gemeinsam mit nahen Angehörigen in einer von diesen Angehörigen gemieteten oder in deren Eigentum stehenden Wohnung lebten, einen Anspruch auf Anerkennung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach Maßgabe der Regelung in den Sätzen 3 bis 5. Gemäß § 42a Abs. 3 SGB XII werde für nicht vertraglich zur Tragung von Unterkunftskosten verpflichtete leistungsberechtigte Personen in Mehrpersonenhaushalten mit nahen Angehörigen unabhängig vom Anfallen tatsächlicher Aufwendungen ein pauschalierter Betrag gewährt. Der anzuerkennende Bedarf - getrennt für Unterkunft un...

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