Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Zulässigkeit der Verrechnung des Wertes eines im Rahmen einer Sanktionsentscheidung gewährten Lebensmittelgutscheins mit der Regelleistung nach Aufhebung der Sanktion

 

Orientierungssatz

Wurden einem Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Leistungsabsenkung infolge einer Sanktion Lebensmittelgutscheine für den betroffenen Monat gewährt, so lebt nach rückwirkender Aufhebung der Sanktionsentscheidung dennoch der Zahlungsanspruch auf die Grundsicherungsleistung wieder auf, ohne dass der Wert der Gutscheine auf diesen Zahlungsanspruch anzurechnen ist. Eine Verrechnung ist nur nach vorherige Aufhebung der Verwaltungsentscheidung über die Gutscheingewährung im Rahmen der dann entstehenden Erstattungspflicht des Grundsicherungsempfängers möglich.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.10.2017; Aktenzeichen B 4 AS 34/16 R)

 

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger von den bewilligten Leistungen für den Monat April 2010 weitere 131,00 € und für den Monat Mai 2010 weitere 85,00 € auszuzahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Beklagte hat dem Kläger 80 % seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten..

 

Tatbestand

Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 24.02.2010 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.03.2010 bis 31.08.2010. Am 02.03.2010 erging ein Änderungsbescheid, in welchem die Regelleistung auf 90 % reduziert und die Leistung für Kosten der Unterkunft abgesenkt wurde.

Unter dem gleichen Datum ergingen zwei Sanktionsbescheide für den Zeitraum ab April, von welchen einer eine Minderung um 10 % der Regelleistung, der andere die Beschränkung auf Leistungen für Unterkunft und Heizung zum Gegenstand hatte. Wegen der verhängten Sanktionen wurden dem Kläger Lebensmittelgutscheine gewährt; für April in Höhe von insgesamt 131,00 €, für Mai in Höhe von insgesamt 85,00 €.

Mit Änderungsbescheid vom 09.04.2010 hob der Beklagte die Leistungen für Unterkunft und Heizung wieder bis über den ursprünglichen Betrag an. Am 10.05.2010 erging ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid hinsichtlich der Kosten der Unterkunft für den Zeitraum 01.04. bis 06.04.2010.

Am 20.05.2010 hob der Beklagte die Sanktionsbescheide vom 02.03.2010 wieder auf. Es erfolgte eine Auszahlung der Regelleistung für April und Mai, wobei aber die in Form von Gutscheinen gewährten Beträge abgezogen wurde. Der Kläger forderte den Beklagten mit Schreiben vom 17.07.2010 erfolglos zur Auszahlung der einbehaltenen 216,00 € auf.

Am 03.08.2010 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Neubrandenburg.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, von den für den Monat April bewilligten Leistungen weitere Leistungen i.H.v. 131 € und von den für den Monat Mai 2010 bewilligten Leistungen weitere Leistungen i.H.v. 131 € auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Leistungsakten der Beklagten Bezug genommen, welche zur Entscheidung vorgelegen haben.

 

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte über die Klage gemäß § 105 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden. Voraussetzung für den Erlass eines Gerichtsbescheides ist, dass der Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und dass die Beteiligten zuvor gehört wurden, ohne dass es eines ausdrücklichen Einverständnisses bedürfte. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Auszahlung der mit Bescheid vom 24.02.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 02.03.2010 als Regelleistung bewilligten Beträge.

Dieser Anspruch ist nicht bereits durch die Gewährung der Lebensmittelgutscheine erfüllt. Denn hierbei handelt es sich um eine der Art nach andere Leistung (Sachleistung statt Geldleistung). Hierbei ist es unerheblich, dass beide Leistungen zum Teil der Deckung des selben Bedarfes dienen. Denn die Behörde kann sich durch die rechtswidrige Gewährung von Lebensmittelgutscheinen nicht ihrer Pflicht zur Auszahlung des Regelbedarfes als Geldleistung entziehen. Die Gutscheine können auch nicht als Einkommen gewertet werden, da § 11 Abs. 1 SGB II (in der damals geltenden Fassung) Leistungen nach diesem Buch ausdrücklich von der Anrechnung ausnimmt.

Dieses Ergebnis ist auch nicht unbillig, weil der Beklagte die Möglichkeit hatte, die Doppelleistung an den Kläger zu korrigieren. Die Gewährung von Gutscheinen stellt einen Verwaltungsakt dar. War dieser wie hier rechtswidrig, kann die Behörde ihre Entscheidung in den Grenzen von § 45 SGB X aufheben und die Erstattung verlangen, wobei Sachleistungen nach § 50 Abs. 1 S. 2 SGB X in Geld zu erstatten sind. Schutzwürdiges Vertrauen dürfte in der Regel nicht entgegenstehen, wenn der Betroffene statt der zurückgeforderte Sachleistung gleichzeitig eine Geldleistung erhält. Ob nach einem so...

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