Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Rentenversicherung. Kürzung der Rente durch Versorgungsausgleich. Rechtsänderung. Hinweispflicht. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Orientierungssatz

1. Sobald ein Rentenversicherungsträger feststellt oder feststellen kann, dass eine Antragstellung dem Versicherten Vorteile bringt, besteht eine Hinweispflicht gem § 115 Abs 6 S 1 SGB 6.

2. Diese Hinweispflicht gilt nur, wenn dem Rentenversicherungsträger zunächst schon ohne einzelfallbezogene Sachverhaltsaufklärung erkennbar wird, dass ein abgrenzbarer Kreis von Berechtigten die Anspruchsvoraussetzung für eine Leistung erfüllt.

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 30.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2010 verurteilt, die Rente des Klägers ungekürzt ohne Abschläge aus dem Versorgungsausgleich ab September 2009 auszuzahlen.

Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Nachzahlung der vollen statt der durch Versorgungsausgleich gekürzten Rente ab Inkrafttreten des Versorgungsausgleichsgesetzes (VersAusglG) am 01.09.2009.

Der am 00.00.1936 geborene Kläger erhält von der Beklagten Altersrente ab August 1996 gemäß Bewilligungsbescheid vom 04.09.1996. Durch Bescheid vom 27.07.1999 verfügte die Beklagte die Kürzung dieser Rente wegen Berücksichtigung des Abschlags aus Versorgungsausgleich (Malus) ab Beginn der an die begünstigte frühere Ehefrau gezahlten Rente ab 01.09.1999. Die Begünstigte verstarb am 18.09.2001.

Mit Wirkung ab 01.09.2001 wurde das bis dahin gültige Gesetz über die Regelung der Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) durch das Gesetz über den Versorgungsausgleich (Versorgungsausgleichsgesetz - VersAusglG) vom 03.04.2009 (BGBl. I S. 700) abgelöst. Die Beklagte behauptet im Prozess, dazu eine Pressemitteilung am 07.09.2009 veröffentlicht zu haben.

Der Kläger erfuhr angabegemäß aus der ZDF-Sendung "Frontal 21" im Juni 2010 von der Neureglung und wandte sich mit seinem Schreiben vom 09.06.2010 an die Beklagte. Diese erteilte den angefochtenen Bescheid vom 30.06.2010, mit dem die Neuberechnung der Rente ab Juli 2010 vorgenommen wurde. Die Nettorentenzahlung erhöhte sich um monatlich 520,74 EUR. Der Kläger wandte sich dagegen zunächst mit einem Schreiben, in dem er die Nachzahlung der erhöhten Rente auch für den Zeitraum Oktober 2001 bis Juni 2010 verlangte. Nachdem die Beklagte mit dem Aufklärungsschreiben vom 13.07.2010 darauf hingewiesen hatte, dass nach § 38 Abs. 2 i.V.m. § 34 Abs. 3 VersAusglG die erhöhte Rente erst ab dem Monat nach der Antragstellung gezahlt werde, eine rückwirkende Korrektur sei nicht vorgesehen, verlangte der Kläger mit weiterem Schreiben die Nachzahlung ab September 2009.

In dem dazu erteilten Widerspruchsbescheid vom 28.09.2010 lehnte die Beklagte dies ab. Sie verneinte einen Beratungsmangel. Der Widerspruchsbescheid enthält Ausführungen zu § 14 SGB I, nicht aber zu § 115 Abs. 6 SGB VI.

Hiergegen richtet sich die am 07.10.2010 erhobene Klage. Mit seinem ausführlichen Vorbringen bringt der Kläger zusammengefasst vor, er habe nicht eher wissen können, dass ihm die erhöhte Rente zugestanden habe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2010 zu verurteilen, die ungekürzte Rente unter Einschluss der durch den Versorgungsausgleich entzogenen Abschläge bereits ab September 2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf den Inhalt der Akten und macht im Übrigen geltend, Gesetze würden im Bundesgesetzblatt verkündet (Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG). Anders als staatliche Verwaltungsakte oder gerichtliche Entscheidungen, die regelmäßig nur einzelne Bürger beträfen und ihnen dann individuell bekannt zu geben seien, genüge für die Bekanntmachung von Gesetzen, die sich an einen unbestimmten Kreis von Personen richteten, die Verkündung im Bundesgesetzblatt (Prinzip der formellen Publikation oder Publizität). Mit Verkündung im Bundesgesetzblatt gälten die Gesetze grundsätzlich allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann sie von ihnen tatsächlich Kenntnis erlangt hätten. Es ergebe sich auch keine Hinweispflicht aus § 115 SGB VI. Diese Hinweispflicht beziehe sich nur auf einen speziellen Teilbereich der möglichen Leistungsbeantragung. Dem Berechtigen sei von Amts wegen in geeigneten Fällen aufzuzeigen, dass er auf Antrag eine bestimmte Rentenleistung erhalten könne, für die erkennbar die Leistungsvoraussetzungen vorlägen und er nur bei rechtzeitiger Antragstellung Verspätungsfolgen vermeiden könne. Der Kläger erhalte bereits seit 01.08.1996 eine Altersrente, eine Verpflichtung zum Hinweis auf eine mögliche Rentenleistung ergebe sich daher nicht.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist...

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