Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistungsrecht. erhöhter Leistungsanspruch nach § 2 Abs 1 AsylbLG. Untersuchungsgrundsatz. Aufklärungspflicht des Leistungsträgers. Anwendbarkeit von § 44 Abs 1 SGB 10. Zuordnung der Leistungen des AsylbLG

 

Orientierungssatz

1. Es obliegt dem Leistungsträger iR der Amtsermittlungspflicht, die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen höheren Leistungsanspruch nach § 2 Abs 1 AsylbLG (hier: Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG seit mehr als 36 Monaten) zu ermitteln.

2. Die Regelung des § 44 Abs 1 SGB 10 ist auch auf die Leistungen nach dem AsylbLG anwendbar.

3. Bei den Leistungen nach dem AsylbLG handelt es sich materiell um Leistungen der Sozialhilfe iS des § 9 SGB 1 und um eine Sonderform der Hilfe zum Lebensunterhalt iS des § 28 Abs 1 Nr 1 SGB 1.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 17.06.2008; Aktenzeichen B 8 AY 5/07 R)

 

Tenor

1.

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 21.12.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2006 verpflichtet, die Bewilligungsbescheide für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.10.2005 aufzuheben und den Klägern für diesen Zeitraum Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren.

2.

Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu 17 % zu erstatten.

3.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klage ist auf die Gewährung höherer Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gerichtet.

Die Kläger, deren Staatsangehörigkeit ungeklärt ist, standen seit dem 01.01.1998 im Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG bei der Beklagten.

Am 02.11.2005 beantragten die Kläger die Gewährung von Leistungen gemäß § 2 AsylbLG für die Zukunft und für die Vergangenheit ab Januar 2001. Zur Begründung gaben sie an, die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG lägen in ihrem Falle vor, da sie ihre Aufenthaltsdauer nicht rechtsmissbräuchlich verlängert hätten. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die höheren Leistungen von Amts wegen zu gewähren. Da sie diese gesetzlich gebotene Handlung unterlassen habe, müsse sie nunmehr die höheren Leistungen auch für die Vergangenheit nachzahlen.

Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Ausländerbehörde der Kreisverwaltung A mit Schreiben vom 08.12.2005 mit, dass eine rechtsmissbräuchliche Verlängerung der Aufenthaltsdauer nicht erkennbar sei. Die Kläger hätten sich bei Zerfall der Sowjetunion nach eigenen Angaben auf dem Staatsgebiet der heutigen russischen Föderation aufgehalten. Geboren seien beide Antragsteller auf dem Staatsgebiet der heutigen Republik Aserbaidschan. Nach dem Zerfall der Sowjetunion habe die Staatsangehörigkeit eines der Nachfolgerstaaten nur erhalten können, wer sich zu einem bestimmten Zeitpunkt auf dem entsprechenden Staatsgebiet aufgehalten habe. Deshalb hätten die Kläger die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit nicht erwerben können. Auch der Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit sei aufgrund gesetzlicher Vorschriften der Russischen Föderation ausgeschlossen, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen (einjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in der Russischen Föderation vor der Einbürgerung) von der Klägern nachweislich nicht erfüllt werde. Für die Kläger liege der Ausländerbehörde eine echte Geburtsurkunde vor, die von einer Behörde der aserbaidschanischen SSR ausgestellt worden sei. Über die Clearingstelle werde für die Kläger seit dem 27.07.2004 das Passersatzbeschaffungsverfahren für Aserbaidschan betrieben, bislang jedoch ohne Erfolg.

Daraufhin bewilligte die Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 21.12.2005 Leistungen nach § 2 AsylbLG ab dem 01.11.2005 bis auf weiteres. Zugleich lehnte sie eine rückwirkende Leistungsbewilligung ab. Hierzu führte sie zur Begründung aus, die Kläger seien gemäß § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zur Mitteilung der tatbestandlichen Voraussetzungen für die erhöhten Leistungen verpflichtet gewesen. Die Verpflichtung zur Gewährung der höheren Leistungen nach § 2 AsylbLG bestehe erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die Behörde Kenntnis von dem erhöhten Leistungsanspruch habe. Eine rückwirkende Leistungserhöhung komme nicht in Betracht, da dies der Gleichbehandlung aller Leistungsbezieher widerspreche.

Den gegen diesen Bescheid am 06.01.2006 erhobenen Widerspruch wies der Kreisrechtsausschuss der Kreisverwaltung A mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2006 zurück. Zur Begründung war angegeben, die Kläger hätten keinen Anspruch auf höhere Leistungen für die Vergangenheit. Die für die vergangenen Zeiträume ergangenen Bewilligungsbescheide seien bestandkräftig geworden. Eine Abänderung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) komme nicht in Betracht. Zwar seien nach § 9 Abs. 3 AsylbLG die §§ 44- 50 SGB X entsprechend anzuwenden; damit habe aber der Gesetzgeber der zuständigen Behörde nur die Möglichkeit geben wollen, einen Rückforderungsanspruch gegen den Leistungsberechtigten geltend zu machen, etwa dann, wenn dieser nachträglich Einkommen erzielt habe und deshalb Leistungen zu Unrecht gewährt worden seien. Der Anwendung des § 44 Abs...

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