Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit der Sozialgerichte für Vollstreckungsschutz. Vollstreckung von Beitragsforderungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Sozialgerichte sind für die Anordnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung von Beitragsbescheiden der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zuständig.

2. Eine Beitragsforderung kann nicht vollstreckt werden, wenn kein vollstreckbarer Beitragsbescheid vorliegt. Ein Beitragsbescheid ist dann nicht vollstreckbar, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass er durch Zugang beim Beteiligten wirksam geworden ist.

3. Aus einem Beitragsbescheid kann auch dann nicht vollstreckt werden, wenn nicht erkennbar ist, wie sich die geltend gemachte Beitragsforderung zwischen Kranken- und Pflegeversicherung verteilt.

4. Eine Aufrechnung der Beitragsschuld mit einer Rückforderung aus zu viel gezahlten Beträgen ist zumindest möglich.

 

Tenor

1. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung der Beitragsforderung der Antragsgegnerin für die freiwillige Versicherung der Antragstellerin in der freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung in der Zeit vom 1.4.2004 bis 31.12.2006 wird einstweilen bis zum Erlass eines bestandskräftigen Beitragsbescheids über diesen Zeitraum angeordnet.

2. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus den Beitragsbescheiden vom 29.12.2006 und 30.7.2007 betreffend die Zeiträume 1.1. bis 31.12.2007 wird einstweilen bis zum Erlass eines bestandskräftigen Beitragsbescheids über den Zeitraum 1.4.2004 bis 31.12.2006 angeordnet.

3. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt Schutz vor der Vollstreckung von Beitragsforderungen aus ihrer freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung bei der Antragsgegnerin.

Die im Jahre 1946 geborene Klägerin ist seit Jahrzehnten bei der Beklagten wechselnd freiwillig und aufgrund Familienversicherung krankenversichert, seit 1995 auch in der sozialen Pflegeversicherung versichert. Auf regelmäßige Einkommensanfragen antwortete sie nur sporadisch bzw. legte die von der Beklagten Unterlagen zum Nachweis der Höhe ihrer Einnahmen nicht vor. Seit 2000 kam es immer wieder zu Beitragsrückständen, weil die Antragstellerin mit der Berechnung der Beiträge nicht einverstanden war.

Im Jahre 2003 stellte die Antragsgegnerin schließlich fest, dass die Antragstellerin nicht mehr bei ihr versichert sei, weil sie die laufenden Beiträge nicht bezahlt habe. Den entsprechenden Bescheid nahm die Antragsgegnerin schließlich im Rahmen eines Anerkenntnisses aufgrund eines Vorschlags des Sozialgerichts Karlsruhe zurück (S 5 KR 4084/04), nachdem der Kammervorsitzende darauf hingewiesen hatte, dass der Zugang des Hinweises auf den drohenden Verlust des Versicherungsschutzes nicht nachweisbar sei. Bereits Ende 2003 wurde der Gerichtsvollzieher mit der Einziehung fehlender Beiträge bis einschließlich 15.3.2003 beauftragt. Mit Schreiben vom 16.6.2005 forderte die Antragsgegnerin nunmehr von der Antragsstellerin Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 16.3.2003 bis 31.3.2004 in Höhe von 7.177,62 € nach. Nachdem die Antragstellerin sich dagegen unter Vorlage eines Einkommenssteuerbescheids für das Jahr 2003, aus dem sich zwar negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aber Einkünfte in Höhe von 18.000 € aus nichtselbständiger Arbeit und über 50.000 € aus Vermietung und Verpachtung ergaben, erließ die Beklagte am 13.9.2005 einen Bescheid, mit dem sie Höhe der Beiträge noch einmal bestätigte. Diese Beiträge hat die Antragstellerin zwischenzeitlich vollständig gezahlt.

Am 25.3.2004 teilte die Antragstellerin mit, dass sie eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehe und deshalb der Krankenversicherung der Rentner zugehören müsse. Die Deutsche Rentenversicherung führte Beiträge aus der Witwenrente nach ihrem im März 2004 verstorbenen Ehemann ab 1.4.2004 an die Antragsgegnerin ab. Am 10.9.2004 erinnerte die Antragsgegnerin die Antragstellerin an die Übersendung von Unterlagen über die Aufgabe ihrer selbständigen Tätigkeit. Im Rahmen eines Telefongesprächs am 27.5.2005 teilte der Sohn der Antragstellerin auch mit, dass die Antragstellerin weiterhin als Steuerberaterin tätig sei.

Mit Bescheid vom 11.10.2005 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie seit dem 1.4.2004 zwar aufgrund des Bezugs einer Rente in der Kranken- und Pflegeversicherung versichert sei. Da sie aber weiter freiberuflich selbständig sei, sei sie versicherungsfrei. Die Versicherung werde deshalb ab 1.4.2004 weiterhin als freiwillige Versicherung geführt. Die Antragsgegnerin werde der Rentenversicherung mitteilen, dass sie keine Beiträge aus der Rente mehr an sie abführen müsse.

Am 6.2.2006 versandte die Antragsgegnerin an die Adresse ... ein Schreiben folgenden Inhalts:

“mit unserem Schreiben vom 11.10.2005 wurde Ihnen mitgeteilt, dass Ihr Versicherungsschutz rückwirkend ab 1.4.2004 in eine freiwillige Versicherung umgewandelt wurde. Du...

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