Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Unzulässigkeit der Versagung von Leistungen nach den §§ 60, 66 SGB 1. fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung. keine Anwendbarkeit nach § 7 Abs 4 AsylbLG. nicht Voraussetzung für die Leistungsgewährung. Anspruchsbeschränkung nach § 1a Nr 2 AsylbLG. kein Verschulden des Leistungsberechtigten bei fehlendem Vollstreckungswillen der Ausländerbehörde

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine teilweise Versagung von Asylbewerberleistungen wegen unzureichender Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten ist ausschließlich im Rahmen von § 1a Nr 2 AsylbLG möglich; ein Rückgriff auf die §§ 60, 66 SGB 1 ist insoweit unzulässig.

2. Die aus § 7 Abs 4 AsylbLG iVm § 60 Abs 1 SGB 1 für den Asylbewerberleistungsberechtigten folgende Pflicht zur Mitwirkung bei der Aufklärung des für die Leistungsbemessung entscheidungserheblichen Sachverhalts bezieht sich allein auf die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung. Sie ist lediglich Ausdruck des im AsylbLG geltenden Nachrangprinzips.

3. Es bleibt offen, ob Leistungseinschränkungen nach § 1a Nr 2 AsylbLG nach dem Urteil des BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua = BGBl I 2012, 1715 grundsätzlich verwehrt sind.

4. Die mehrfache Verlängerung einer Grenzübertrittsbescheinigung zur Ermöglichung einer freiwilligen Ausreise aus dem Bundesgebiet impliziert den fehlenden Vollstreckungswillen der Ausländerbehörde.

 

Tenor

Der Antragsgegner wird einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller bis zur bestandskräftigen Entscheidung über seinen Widerspruch vom 8. Oktober 2012 vorläufig und unter Rückforderungsvorbehalt für die Zeit ab dem 15. Oktober 2012 ungekürzte Grundleistungen gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 1 Satz 4 AsylbLG unter Zugrundelegung der Tabellenwerte des ihn bindenden Erlasses des Nds. Innenministeriums vom 22. August 2012 zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller 70 % seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Dem Antragsteller wird für das Verfahren im ersten Rechtszug ab dem 24. Oktober 2012 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.

Im wird insoweit Rechtsanwalt E. zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet.

 

Gründe

Der nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 15. Oktober 2012 eingegangene, zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner des sinngemäßen Inhalts, diesen einstweilen zu verpflichten, dem Antragsteller - vollziehbar ausreisepflichtiger iranischer Staatsangehöriger - ungekürzte Analog-Leistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren, ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise begründet, denn der Antragsteller hat für sein e.g. Begehren teilweise einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO).

Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig ist. Das ist immer dann der Fall, wenn ohne den vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache im Falle des Obsiegens nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 19. Oktober 1977 - 2 BvR 42/76 -, BVerfGE 46 [166, 179, 184]). Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraussichtlich zu und ist es ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begründet. Eine aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebotene Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Verfahren ist jedoch nur dann zulässig, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung unzumutbare Nachteile drohen und für die Hauptsache hohe Erfolgsaussichten prognostiziert werden können (Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. September 2004 - L 7 AL 103/04 ER -). Sowohl die hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile (Anordnungsgrund) müssen glaubhaft gemacht werden, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO. Dies ist dem Antragsteller teilweise gelungen.

Der Antragsteller, dessen Leistungsberechtigung spätestens seit Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens durch Beschluss des Nds. OVG vom 27. Juli 2012 (13 ME 152/12, Bl. 286 ff. AuslA) und am 12. September 2012 erklärter Rücknahme der Klage gegen den die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 4 AufenthG ablehnenden Bescheid der Ausländerbehörde des Antragsgegners vom 19. April 2012 aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG folgt, hat keinen Anspruch auf ungek...

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