Leitsatz (amtlich)

Zum Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit durch den Dienst als Blockführer und Wachmann im Konzentrationslager Neuengamme im Zeitraum von Oktober 1940 bis März 1943.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Entziehung der dem Kläger bis zum 31.1.3002 nach § 31 Bundesversorgungsgesetzt (BVG) gewährten Grundrente im Streit.

Der Kläger wurde am …1922 in F. geboren. Er ist gelernter Glaser (April 1936 bis Oktober 1939) und war bis zum Rentenbezug wegen Erwerbsunfähigkeit (1978) und Alters (1982) zuletzt als kaufmännischer Angestellter beschäftigt.

Auf seinen im Januar 1949 gestellten Antrag anerkannte die Landesversicherungsanstalt (LVA) Hamburg für Verletzungen, die der Kläger während des Dienstes im 6. SS Panzerregiment in den Monaten April und August 1944 in Russland erlitt, als Schädigungsfolgen:

  1. „Verschiedene oberflächliche Narben am Gesicht, an der Stirn, der Brust und am Vorderarm.
  2. Lungenstecksplitter links, verheilter Schussbruch 2. Rippe links”.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) stellte die LVA im Jahr 1949 mit 20 v.H. fest.

Die Beklagte gewährte dem Kläger ab April 1955 eine Grundrente nach einer MdE von 50 v.H. und ab November 1972 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach einer MdE von 80 v.H. Als Schädigungsfolgen stellte die Beklagte 1957 neu fest:

  1. „Verschiedene oberflächliche Narben am Gesicht, an der Stirn, der Brust und am Vorderarm.
  2. Bohnengroßer Lungenstecksplitter links sowie verheilter Schussbruch der zweiten Rippe links.
  3. Operationsnarbe am linken Rippenbogen und Defekt der 8. Rippe links nach Entfernung eines Lungenstecksplitters links; Pleuraschwarte links.
  4. Asthmatoide Bronchitis”.

Für den Zeitraum vom 1.10.1964 bis zum 31.1.1972 gewährte die Beklagte dem Kläger Berufsschadensausgleich.

Der Kläger hatte die ihm anlässlich der Antragstellung im Februar 1949 gestellte Frage, ob er freiwillig oder unfreiwillig Angehöriger der Waffen-SS gewesen sei, mit „Kriegsfreiwilliger” beantwortet und angegeben, nach den 1944 erlittenen Verletzungen in verschiedenen Lazaretten behandelt worden zu sein. Vom 24. Mai 1940 bis zum 20. Oktober 1948 habe er Kriegsdienst, zuletzt als Unteroffizier, geleistet. Von August 1945 bis Oktober 1948 sei er in französischer Kriegsgefangenschaft gewesen.

Im März 1952 erklärte der Kläger, vom Monat März 1943 bis zum Monat August 1944 Fronteinsatz geleistet zu haben. Als Dienstgrad gab er Unterscharführer an.

Die von der Beklagten angeforderten Unterlagen der Krankenbuchlager bestätigten die angegebenen Lazarettaufenthalte, zuletzt im Kriegsgefangenenlazarett F1, Frankreich von November 1944 bis Mai 1947.

Im Oktober 2000 zog die Beklagte die Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg (147 Js 45/67 und 147 Js 32/65) über die gegen G.-A. S., H. E., den Kläger und andere geführten Ermittlungen bei, um zu prüfen, ob die Beschädigtenversorgung nach dem am 28.1.1998 in Kraft getretenen § 1a BVG zu entziehen war.

Die Staatsanwaltschaft hatte wegen des Vorwurfs des im Konzentrationslager Neuengamme begangenen Mordes, Mordversuchs und der Beihilfe zum Mord ermittelt. Das Verfahren gegen den Kläger war mit Verfügung vom 14.12.1967 mangels Beweises eingestellt worden.

Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg teilte auf Anfrage der Beklagten im Mai 2000 mit, der Kläger sei SS Rottenführer beim Lagerpersonal des Konzentrationslagers Neuengamme gewesen.

Mit Schreiben vom 7.8.2001 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Entziehung der Versorgungsbezüge ein erstes Mal an. Sie wies darauf hin, dass die Durchsicht der Akten der Staatsanwaltschaft ergeben habe, dass der Kläger seit Oktober 1940 Blockführer und später Mitglied der Wachmannschaft im Konzentrationslager Neuengamme gewesen sei. Nach seinen Angaben habe er Häftlinge bewacht und u. a. auch zu Außenarbeiten geführt. Nach Zeugenaussagen soll es während dieser Zeit zu Misshandlungen von Häftlingen gekommen sein, an denen er beteiligt gewesen sei. Die Beklagte nahm Bezug auf den Inhalt des gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahrens. Der Kläger habe durch sein Verhalten gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit i. S. des § 1a BVG verstoßen. Es sei beabsichtigt, die Versorgungsbezüge mit Wirkung für die Zukunft zu entziehen. Angesichts der Schwere der sich aus den Ermittlungsakten ergebenden Verstöße komme auch bei einer Interessenabwägung ein besonderer Vertrauensschutz nicht in Betracht. Die Beklagte übersandte dem Kläger die aus der Akte der Staatsanwaltschaft gefertigten Kopien sowie Kopien der eingeholten Auskünfte.

Der Kläger erklärte dazu, er sei nachweislich nicht freiwillig zur Waffen-SS gekommen, sondern mit Gestellungsbefehl im Alter von 18 Jahren einberufen worden.

Dem Befehl zum Einsatz im KZ Neuengamme habe er sich ohne Gefahr für sein eigenes Leben nicht entziehen können. Er habe persönlich keiner...

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