Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestehen von Unfallversicherungsschutz für eine Prostituierte

 

Orientierungssatz

1. Die Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall setzt u. a. voraus, dass sich dieses bei einer Beschäftigung in nichtselbständiger Arbeit ereignet hat.

2. Als typisierendes Merkmal gilt u. a. das Bestehen von Anordnungsrechten des Arbeitgebers bezüglich Art, Zeit und Ort der Ausführung.

3. Wird einer Prostituierten von ihrem Zuhälter der Raum für das Erbringen sexueller Dienstleistungen zur Verfügung gestellt, betreibt dieser für sie Werbung und führt sie vereinbarungsgemäß die Hälfte der erzielten Einnahmen an ihn ab, so handelt es sich um ein Beschäftigungsverhältnis mit Arbeitnehmereigenschaft. Ein während des Beschäftigungsverhältnisses entstandenes Unfallereignis steht gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB 7 unter Unfallversicherungsschutz.

4. Auch wenn es sich um Schwarzarbeit handelt und gültige Arbeitspapiere bei einem lediglich vorhandenen Touristenvisum fehlen, steht dies einer Versicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht entgegen, weil § 7 Abs. 2 SGB 7 auch bei verbotswidrigem Handeln den Versicherungsschutz nicht ausschließt.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2014 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Klägerin am 1. November 2012 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

2. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Arbeitsunfalls.

Die im Jahre 1981 geborene r. Klägerin war mit einem gültigen Reisevisum am 10. Oktober 2012 nach D1 eingereist. In der Zeit von Oktober bis November 2012 war sie in H. für ein Escort-Unternehmen tätig und hierbei hauptsächlich im sog. Modellwohnungsbereich. In diesem Rahmen bot die Klägerin sexuelle Dienstleistungen überwiegend in verschiedenen Wohnungen an. Am 1. November 2012 (einem Donnerstag) erlitt sie einen Unfall, als sie aus einer Wohnung im 2. Stock, in der S. in H., sprang und sich dabei erheblich verletzte.

Nach eigenen Angaben absolvierte die Klägerin in R. ein Studium zur Bahn- und Verkehrsingenieurin und hatte zur Aufbesserung ihres Verdienstes bereits mehrfach als Prostituierte in europäischen Ländern gearbeitet. Im September 2012 habe sie eine Anzeige der Firma "D.- H." im Internet gelesen, welche mit einer legalen Arbeit als Prostituierte in H. geworben habe. Auf diese Anzeige bewarb sich die Klägerin. Sie reiste am 10. Oktober 2012 nach D1 ein und sei von einem "T." bzw. "T1", welcher b. Abstammung gewesen sei, in Empfang genommen worden. Er habe ihr erklärt, dass sie als Lohn 50% des in der Prostitution erzielten Umsatzes behalten könne. Zudem habe er ihr eine Wohnung, Essen, Arbeitskleidung, Flugtickets, Papiere und Werbung versichert. Außerdem sei vereinbart worden, dass sie 24 Stunden täglich zur Verfügung stehen müsse. Aus der Internetanzeige von "D.- H." ging hervor, dass die Klägerin unter dem Namen "S2" ihre Dienste von Sonntag bis Donnerstag zwischen 9.00 und 2.00 Uhr, am Freitag von 11.00 bis 3:00 Uhr und am Samstag von 11:00 bis 4:00 Uhr angeboten hatte. Zudem waren auch Buchungen für einen Tag bzw. mehrere Tage möglich. Die Wohnungen in der B. Straße sowie der B1 in H. seien sog. Modellwohnungen gewesen. Dasselbe gelte auch für die Wohnung in der S. Straße, in welcher die Klägerin ebenfalls einen Freier empfangen habe.

Ferner erklärte die Klägerin, dass sie zu Beginn ihres Aufenthaltes mehrfach in einem Club gearbeitet habe, in welchem gute Arbeitsbedingungen geherrscht hätten. Sie habe jedoch nicht jeden Tag Geld erhalten. Irgendwann sei ihr deutlich geworden, dass sie doch nicht in ein gutes Unternehmen geraten sei. Zudem sei ihr der Mann ("T.") nicht mehr von der Seite gewichen, habe sie nie allein gelassen und sie habe ihn mehrfach kostenlos "bedienen" müssen, auch wenn dies ausdrücklich gegen ihren Willen geschehen sei. Es sei mehrfach zum Streit wegen der Bezahlung und der ständigen Kontrolle durch ihn gekommen. Er habe sie auch einmal mit einem Heft geschlagen, sie auf das Bett geworfen und sei dann gegangen. Am 29. oder 30. Oktober 2012 habe er gesagt, dass er ihre Papiere abholen wolle. Er sei in drei oder fünf Tagen wieder da. Sie habe ihn gebeten, den Schlüssel für die Wohnung bei ihr zu lassen. Es habe keine Reaktion gegeben. Schließlich sei sie in der Wohnung eingesperrt worden. Nach zwei Tagen, am 1. November 2012 habe sie nicht mehr gewusst, was sie tun sollte. Sie habe nur die Notrufnummer "911" gekannt, aber nicht die in D1 gängigen Notrufnummern. Sie habe dann in dem Internetforum, in welchem sie auch auf die Anzeige gestoßen sei, von einer A. gelesen, die die gleiche Geschichte wie sie erlebt hatte. Sie habe erkannt, dass sie sich in einer schlimmen Situation befand und habe aus der Tür stürzen wollen. Diese habe sie jedoch weder öffnen noch aufbrechen können. Sie habe auch nicht um Hilfe rufen wollen, da sie nicht gewusst habe, ob die Nachbarn mit dem ...

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