Tenor

Dieser Rechtsstreit wird ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht mit folgender Frage vorgelegt:

Sind §§ 54, 55, 57, 131-136 SGB XI insofern mit der Verfassung, namentlich Art. 3 Abs. 1 i.V.m. 6 Abs. 1 GG, im Einklang als Eltern von mehreren Kindern in gleicher Weise zu Beiträgen herangezogen werden wie Versicherte mit nur einem Kind?

 

Gründe

I.

Die Kläger begehren die Herabsetzung ihrer Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung ab 01.01.2015.

Die in den Jahren 1975 und 1976 geborenen Kläger sind verheiratet und Eltern von vier in den Jahren 2007, 2009, 2011 und 2013 geborenen Kindern. Sie sind bei der beklagten Krankenkasse in der Beschäftigtenversicherung gesetzlich krankenversichert und bei der bei ihr eingerichteten zu 4. beigeladenen Pflegeversicherung in der sozialen Pflegeversicherung versichert. Die Beklagte ist gleichzeitig die für die Einziehung ihrer Sozialversicherungsbeiträge zuständige Einzugsstelle.

Die Klägerin zu 1. erzielte bis 31.08.2016 ein Monatseinkommen von 1.159,47 € brutto zuzüglich Kinderzulage und Zeitzuschlag (Gesamtbrutto: 1.389,21 €) aus einer abhängigen Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3. Seit 01.09.2016 hat sie von 25% auf 50% aufgestockt. Der Kläger zu 2. erzielt ein Monatseinkommen aus einer abhängigen Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3. in Höhe von 4.143,24 € brutto zuzüglich Kinder- und Zeitzuschlag (Gesamtbrutto: 4.398,93 €).

Mit Schreiben vom 04.04.2015 beantragten sie bei der Beklagten, bei der Beitragserhebung zur sozialen Pflegeversicherung ihre aus Barunterhalt und Betreuung bestehenden Erziehungsleistungen für ihre vier Kinder beitragsäquivalent zu berücksichtigen. Den Vorschlag der Beklagten, das Verfahren im Hinblick auf mehrere beim Bundessozialgericht (BSG) anhängige Verfahren ruhen zu lassen, lehnten sie mit der Begründung ab, dass die laufenden Verfahren sich nicht mit der Pflegeversicherung und dem seit 01.01.2015 eingerichteten Pflegevorsorgefonds befassten. Insofern habe sich die einfache Rechtslage geändert, der schon bestehende Verfassungsverstoß sei verschärft worden.

Mit Bescheid vom 29.06.2015 lehnte die Beklagte gegenüber dem Kläger zu 2. eine Herabsetzung der laut Gehaltsmitteilung und im Bescheid näher ausgeführten abgeführten Arbeitnehmeranteile zur Kranken- (334,13 €), Renten- (411,30 €) und Pflegeversicherung (48,47 €) ab. Mit weiterem Bescheid vom 29.06.2015 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1. die Herabsetzung der näher bezeichneten Beiträge zur Kranken- (106,04 €), Renten- (122,41 €) und Pflegeversicherung (15,38 €) ab. Dagegen erhoben die Kläger unter dem 01.07.2015 Widerspruch, zu dessen Begründung sie die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Beitragsregelungen geltend machten. Mit Schreiben vom 30.07.2015 stellte die Beklagte klar, dass sie eine Beitragsreduzierung ab Januar 2015 nicht vornehmen könne. Mit Widerspruchsbescheiden vom 08.10.2015 wies die Beklagte den gemeinsam erhobenen Widerspruch unter Bezugnahme auf die Gesetzeslage zurück.

Dagegen richtet sich die am 03.11.2015 erhobene Klage.

Die Kläger wiederholen ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Die Klägerin zu 1. beschränkt ihre Klage auf die Zeit bis 31.08.2016, nachdem die Kammer darauf hingewiesen hat, dass es für die Zeit ab Änderung der Arbeitszeit an einer anfechtbaren Entscheidung der Beklagten fehlt. Ihren ursprünglichen Vortrag, dass auch der Arbeitgeberbeitrag Gegenstand des Verfahrens sei, haben sie in der Folge im Hinblick auf die fehlende Entscheidung der Beklagten über diesen Teil nicht aufrecht erhalten.

Die Kläger tragen vor, es sei verfassungsrechtlich zwingend, die Beitragsgerechtigkeit zwischen Eltern und kinderlosen Personen herzustellen. So bliebe mehr Netto vom Brutto, was Erwerbsanreize für Frauen nach sich ziehe. Beitragsgerechtigkeit sei ein zentraler Baustein im Kampf gegen Familienarmut und verwirkliche in besonderem Maße das Sozialstaatsgebot. Es sei eine Unterscheidung nach Unterhaltsbelastung zu treffen, nur das verwirkliche die Beitragsgerechtigkeit, denn nur so werde dem tatsächlich verfügbaren Einkommen Rechnung getragen. Insofern sei mindestens der in § 32 Abs. 6 Einkommenssteuergesetz (EStG) genannte Betrag von ihren Einkommen abzuziehen bevor sie verbeitragt würden. Das bedeute, dass ein Betrag von 4 x 7.152 €= 28.068 € von ihrem Einkommen abzuziehen sei.

Der seit 01.01.2015 eingerichtete Pflegevorsorgefonds sei nicht Gegenstand der aktuellen Entscheidung des BSG vom 20.07.2017 (B 12 KR 14/15 R) gewesen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 03.04.2001 (1 BvR 1629/94 u.a.) sei vom Gesetzgeber nicht hinreichend umgesetzt worden. Dieser fortbestehende Verfassungsverstoß sei durch die Einrichtung des Pflegevorsorgefonds zum 01.01.2015 noch verschärft worden.

Das BSG habe in seiner Entscheidung vom 30.09.2015 (B 12 KR 15/12 R) die statistischen Vorgaben nicht zutreffend umgesetzt. Es habe zu Unrecht nicht zwischen Kinderlosen und Kindererziehenden unterschieden und es habe auch nicht hinreichend beachtet, da...

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