Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Übernahme der Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechtes mit dem getrennt lebenden Kind. analoge Anwendung. verfassungskonforme Auslegung. Regelleistung. abweichende Erbringung durch Darlehen. Hilfe in sonstigen Lebenslagen. Hilfe zum Lebensunterhalt. unabweisbarer Bedarf

 

Orientierungssatz

1. Die Ausübung des Umgangsrechtes durch den nicht sorgeberechtigten Elternteil ist ein persönliches Grundbedürfnis seines täglichen Lebens. Hierbei handelt es sich um ein höchstpersönliches Recht, das wegen der engen persönlich-familiären Bindung zwischen Eltern und Kind nicht in den Bereich der Beziehung zur Umwelt fällt, somit sind die Kosten auch nicht durch die Regelleistung des § 20 Abs 1 S 1 SGB 2 abgedeckt .

2. Die Regelung des § 20 SGB 2 ist jedoch unter Annahme einer planwidrigen Regelungslücke analog anzuwenden, da es sich bei der Ausübung des Umgangsrechtes um einen verfassungsrechtlich anerkannten notwendigen Bedarf zum Lebensunterhalt handelt, der unter den Schutz des Art 6 Abs 2 S 1 GG fällt .

3. Zur Schließung der Regelungslücke ist eine Anwendung des Rechtsgedankens des § 28 Abs 1 S 2 SGB 12 im Rahmen des § 20 SGB 2 vorzunehmen .

4. Soweit in der zu dieser Frage bislang vorliegenden Rechtsprechung wohl überwiegend die Auffassung vertreten wird, die dargestellte Lücke könnte durch eine entsprechende Anwendung des § 23 Abs 1 SGB 2 auf solche Leistungen, die nicht unmittelbar von § 20 Abs 2 SGB 2 erfasst sind, geschlossen werden (so wohl auch LSG Essen vom 12.5.2005 - L 12 B 9/05 AS ER, SG Schleswig vom 9.3.2005 - S 2 AS 52/05 ER und LSG Celle-Bremen vom 14.3.2006 - L 7 AS 363/05 ER), vermag sich die Kammer dieser Auffassung im Ergebnis nicht anzuschließen, da § 23 Abs 1 SGB 2 nur eine darlehensweise Gewährung zulässt .

5. Über die Problematik der darlehensweisen Gewährung unter Anwendung des § 23 Abs 1 SGB 2 und der hieraus faktisch resultierenden Schuldenspirale hilft auch nicht die von Teilen der Rechtsprechung in Fortführung dieses Gedankens entwickelte Lösung über § 44 SGB 2 hinweg .

6. Die Kosten der Ausübung des Umgangsrechtes sind auch nicht nach § 73 SGB 12 als ergänzende Leistungen vorrangig vor dem SGB 2 zu erbringen, da keine sonstige Lebenslage iS des § 73 SGB 12 vorliegt, sondern die Kosten vom Regelbedarf des § 28 SGB 12 umfasst werden .

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.11.2006; Aktenzeichen B 7b AS 14/06 R)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines zusätzlichen, über die Regelleistung hinausgehenden Bedarfs im Hinblick auf die mit der Ausübung des Umgangsrechts verbundenen Kosten.

Der ... 1963 geborene Kläger ist seit 1998 geschieden und lebt zur Zeit alleine. Aus der Ehe sind zwei Töchter hervorgegangen, die ... 1990 und ... 1992 geboren sind. Die geschiedene Ehefrau des Klägers hat das alleinige Sorgerecht; sie erhält für die Töchter keine Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII. Die Kinder leben bei ihrer Mutter in R, der Kläger in D-A. Unstreitig hat die jüngere Tochter den Kläger im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.03.2006 alle 14 Tage an den Wochenenden besucht. Die ältere Tochter hat in dem genannten Zeitraum den Kläger einmal im Vierteljahr besucht und das Wochenende bei ihm verbracht. Diese Besuchswochenenden erstreckten sich jeweils über zwei Tage. Darüber hinaus hat die ältere Tochter im Jahr 2005 Weihnachten drei Tage beim Kläger verbracht; die jüngere Tochter hat in den Oster- und Herbstferien jeweils sieben volle Tage ihren Vater besucht und darüber hinaus 14 Tage in den Sommerferien bei ihm gewohnt. In den Weihnachtsferien 2005 hat sie noch einmal fünf Tage beim Kläger verbracht. Soweit in diesen Ferien Wochenenden gewesen sind, ist der entsprechende Wochenendbesuch entfallen. Daher ist im Hinblick auf die Sommerferien von einem verlorenen Besuchswochenende auszugehen. Die Fahrtkosten belaufen sich für eine Hinfahrt durch den Kläger mit anschließender Rückfahrt mit den Töchtern auf 29,00 Euro, so dass für ein Besuchswochenende, das die Anreise des Klägers von D nach R, die Rückreise mit den Töchtern, die sonntägliche Fahrt des Klägers mit den Töchtern von D nach R und die anschließende Rückfahrt durch den Kläger alleine, Kosten in einem Umfang von 58,00 Euro anfallen. Diese Beträge gelten ausweislich einer von der Kammervorsitzenden eingeholten Auskunft des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr - VRR - sowie der Deutschen Bahn AG für ein "Guten-Tag-Ticket" und stellen den günstigsten Fahrtpreis für diese Strecke in der fraglichen Personenkombination dar.

Am 14.09.2004 beantragte der Kläger die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II einschließlich der Übernahme der Kosten der Ausübung des Umgangsrechts.

Mit Bescheid vom 02.11.2004 bewilligte die Beklagte Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2005 in Höhe von 753,90 Euro monatlich. Hierin war die Regelleistung für einen Haushaltsvorstand in Höhe von 345,00 Euro sowie 408,90 Euro an Kosten der Unterkunft und Heizung, was den...

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