Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschränkung des Streitgegenstand. Einbeziehung neuer Verwaltungsakte. abtrennbare Verfügungen in Aufhebungs- bzw Erstattungsbescheiden. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. unrechtmäßig zugeflossenes, zurückgefordertes Arbeitslosengeld. Abgrenzung vom Darlehen mit Rückzahlungspflicht. Berücksichtigung eines Sonderbedarf zum Zeitpunkt und in Höhe der tatsächlichen Rückzahlung. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Soweit ein Bewilligungsbescheid die Verfügung aufstellt, dass Grundsicherungsleistungen unter Anrechnung von Arbeitslosengeld gewährt werden, und nachfolgende Aufhebungs- und Erstattungsbescheide die Regelung treffen, dass Grundsicherungsleistungen für denselben Zeitraum wegen Nichtanrechnung von Arbeitseinkommen zurückgefordert werden, beinhalten die Bescheide unterschiedliche, abtrennbare Verfügungen und sind im Höhenstreit nicht als Folgebescheide gem § 86 SGG einzubeziehen.

2. Die Berücksichtigung des nach Antragstellung tatsächlich zugeflossenen Arbeitslosengeldes als Einkommen gem § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 iVm § 2 Abs 2 AlgIIV ist auch dann rechtmäßig, wenn die Arbeitslosengeldbewilligung rückwirkend aufgehoben und das Arbeitslosengeld mittlerweile zurückgezahlt wurde. Daran, dass dem Hilfebedürftigen Einkommen aus Arbeitslosengeld auch bei wirtschaftlicher Betrachtung - bis zur Rückzahlung - noch zur eigenen Bedarfsdeckung zur Verfügung stand, ändert die Unrechtmäßigkeit des Zuflusses des Arbeitslosengeldes nichts.

3. Anders als ein Darlehen mit Rückzahlungsvorbehalt bzw -verpflichtung ist das Arbeitslosengeld als staatliche Leistung der Arbeitsförderung bereits nicht nur vorübergehender Natur, sondern ein endgültiger und rückzahlungsfreier Zuschuss für den jeweiligen Bewilligungszeitraum, der die Hilfebedürftigkeit in dieser Zeit in der entsprechenden Höhe endgültig entfallen lässt. Ob Arbeitslosengeld zurückgefordert werden kann, bedarf komplexer rechtlicher Prüfungen gem §§ 45ff SGB 10 und ist daher im Zeitpunkt des Zuflusses nicht abseh- bzw einschätzbar.

4. Allerdings ist die Rückzahlungsverpflichtung in Gestalt eines leistungserhöhenden Sonderbedarfs zum Zeitpunkt und in der Höhe der tatsächlichen Rückzahlung zu berücksichtigen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.08.2011; Aktenzeichen B 14 AS 165/10 R)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Berufung und Sprungrevision werden zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anrechenbarkeit von mittlerweile zurückgefordertem Arbeitslosengeld auf die Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Monat Juli 2007.

Bei den Klägern handelt es sich um eine vierköpfige Bedarfsgemeinschaft bestehend aus dem 31jährigen Kläger zu 1), seiner Ehefrau, der 29jährigen Klägerin zu 2), und den beiden sechs- und zweijährigen Kindern, den Klägern zu 3) und 4). Sie bewohnen eine ca. 72 qm große 3-Zimmer-Wohnung in D.. Die Warmmiete für diese Wohnung, die von der Beklagten anerkannt wird, betrug im Juli 2007 EUR 432,60.

Die Kinder bezogen im streitgegenständlichen Zeitraum Kindergeld in Höhe von jeweils EUR 154,00.

Die Bedarfsgemeinschaft erhält seit dem 1.1.2005 SGB II-Leistungen. Seit dem 7.4.2007 bezog der Kläger zu 1) zusätzlich Arbeitslosengeld in Höhe von EUR 823,80 monatlich (EUR 27,46 täglich), zuletzt aufgrund Bewilligungsbescheides vom 21.3.2007.

Infolge eines Fortzahlungsantrages vom 21.2.2007 setzte die Beklagte die SGB II-Leistungen der Kläger mit Bewilligungsbescheid vom 1.6.2007, der den Zeitraum ab dem 1.4.2007 bis 30.9.2007 erfasst, für den Monat Juli 2007 auf insgesamt EUR 340,89 fest unter Anrechnung des Kindergeldes und des Arbeitslosengeldes.

Am 27.6.2007 nahm der Kläger aufgrund Arbeitsvertrages desselben Datums eine Vollzeittätigkeit als Produktionshelfer bei der Firma C. Personalservice zu einem Brutto-Monatslohn von EUR 1.184,54 auf. Die Bundesagentur für Arbeit bzw. die Beklagte wurden darüber unter dem 3.7.2007 (vgl. Verbis-Vermerk Bl. 115 GA) und 2.8.2007 (vgl. Verbis-Vermerk Bl. 117 GA) informiert.

Im streitgegenständlichen Monat Juli 2007 erhielt der Kläger zu 1) das Arbeitslosengeld uneingedenk seiner Arbeitsaufnahme noch in Höhe von EUR 823,80 unter dem Datum des 31.7.2007 ausgezahlt.

Von der Firma C. erhielt der Kläger für die vier im Juni 2007 geleisteten Arbeitstage EUR 261,26 brutto (EUR 219,21 netto) und für seine Dienste im Juli 2007 EUR 860,43 brutto (EUR 680,13 netto) jeweils zur Mitte des Folgemonats ausgezahlt.

Mit Bescheid vom 2.8.2007 hob die Bundesagentur für Arbeit ihre Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 27.6.2007 auf. Mit Erstattungsbescheid vom 9.8.2007 forderte sie zugleich Leistungen in Höhe von EUR 933,64 zurück. Die Bescheide sind bestandskräftig. Die Kläger zahlen den Rückforderungsbetrag ausweislich einer Kassenübersicht der Bundesagentur für Arbeit (Bl. 113 GA) in monatlichen Raten von zuletzt EUR 30,00 seit dem 14.12.2007 zurück. Nach Auskunft der Bundesagentur belief sich die...

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