Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts zur Berechtigung von Grundsicherungsleistungen bei einem Asylberechtigten bzw. Flüchtling

 

Orientierungssatz

1. Für Leistungen der Grundsicherung ist nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB 2 anspruchsberechtigt, wer u. a. seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Der Begriff orientiert sich allein an den tatsächlichen Verhältnissen. Gemeint ist die Anwesenheit an einem Ort, die nicht nur vorübergehender Natur ist, sondern zukunftsoffen den Lebensmittelpunkt ausmacht. Der Aufenthalt an einem bestimmten Ort in der BRD hat lediglich für die Abgrenzung der örtlichen Zuständigkeit der Leistungsträger Bedeutung.

2. Nach § 36 Abs. 2 SGB 2 ist der Träger örtlich zuständig, in dessen Gebiet die leistungsberechtigte Person nach § 12a Abs. 1 bis 3 AufenthG ihren Wohnsitz zu nehmen hat. Danach ist ein als Asylberechtigter oder als Flüchtling anerkannter Ausländer verpflichtet, für den Zeitraum von drei Jahren ab Anerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis seinen Wohnsitz in dem Land zu nehmen, in das er zur Durchführung seines Asylverfahrens zugewiesen worden ist.

3. Weil es häufig der Integration nicht förderlich ist, den Betroffenen zu verpflichten, seinen Wohnsitz im Bundesland der Erstzuweisung zu nehmen, ist dem Grundsicherungsträger bei der Festlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ein entsprechend großer Ermessensspielraum eingeräumt.

 

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Form des Regelbedarfs in Höhe von je 364,- EUR monatlich für die Zeit ab dem 01.11.2016 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 25.04.2017, zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu ½. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin N. S. ab 02.11.2016 bewilligt.

 

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren die Gewährung vorläufiger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.

Der am 01.01.1993 geborene Antragsteller (Ast 1) und seine am 13.03.1996 geborene Ehefrau (Ast 2) besitzen die syrische Staatsangehörigkeit. Sie sind aus ihrem Heimatland nach Deutschland geflohen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Außenstelle Halberstadt) hat die Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid vom 18.02.2016 anerkannt. Hierüber stellte die Ausländerbehörde des Landkreises Stendal am 20.04.2016 Aufenthaltstitel / Aufenthaltserlaubnis aus, die bis 19.04.2019 gültig ist. Danach sind die Ast berechtigt, eine Erwerbstätigkeit auszuüben.

Die Ast haben bis 30.06.2016 in Stendal gelebt und vom Jobcenter Stendal Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bezogen (vgl. Bewilligungsbescheid des Jobcenters Stendal vom 14.04.2016). Mit Zustimmung des Jobcenters Stendal (vgl. Zusicherung zum Umzug vom 22.06.2016) verzogen die Ast zum 01.07.2016 nach Essen, wo sie zunächst bei einem Freund in der Grabenstr. 14, 45141 Essen wohnten und ab 16.08.2016 in die 48,66 qm große Wohnung B.-Str. 24, 4xxx E. umzogen.

Für die Wohnung ist eine Grundmiete von 305,10 EUR, Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 120,00 EUR sowie Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von 55,26 EUR zu entrichten.

Auf ihren Antrag zur Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vom 23.07.2016 bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 27.07.2016 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. monatlich 728,00 EUR (2 x 364,00 EUR Regelleistung) und mit Änderungsbescheid vom 11.08.2016 unter Berücksichtigung der Kosten der Unterkunft 984,19 EUR für August 2016 sowie 1.208,36 EUR für die Monate September - Dezember 2016. Mit streitgegenständlichem Aufhebungsbescheid vom 26.09.2016 hob die Ag die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II unter Verweis auf die gemäß § 36 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 12a AufenthG geänderte örtliche Zuständigkeit ab 01.11.2016 ganz auf.

Über den hiergegen eingelegten Widerspruch der Ast vom 06.10.2016 hat die Ag bislang nicht entschieden.

Die Antragsteller haben am 25.10.2016 einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Sie tragen vor, die Aufhebung der Leistungen sei ohne vorherige Anhörung erfolgt. Die Aufhebung unter Bezugnahme auf die Neuregelung des § 12a AufenthG (sog. Wohnsitzauflage) sei rechtswidrig, weil sie mit Zustimmung des Jobcenters Stendal vor Einführung des neuen Gesetzes nach Essen umgezogen seien. Die Wohnsitzauflage nach § 12a AufenthG schränke das den Ast aufgrund höherrangigem Recht zustehende Recht der Freizügigkeit in unzulässiger Weise ein. In der Anlage ihrer Antragsschrift verweisen die Ast zudem auf Rechtsausführungen der Frau Prof. Dr. F. und Rechtsanwältin St. unter http://tacheles-sozialhilfe.de/fa/redakteur/Aktuelles/Wohnsitzauflage Frings Steffen 0509016.pdf.

Die Ast beantragen,

den Antragsgegner im Wege der einstweil...

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