Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. keine Verpflichtung von Lehrern und Erziehern zur regelmäßigen Medikamentenabgabe. allgemeine Hilfepflicht in Notfällen

 

Leitsatz (amtlich)

Lehrer und Erzieher, auch an Förderschulen, können nicht zur regelmäßigen Medikamentenabgabe verpflichtet werden. Die allgemeine Hilfepflicht in Notfällen kann jedoch auch die Abgabe von Notfallmedikamenten, die nicht der Anwendung durch medizinische Fachkräften vorbehalten sind, umfassen. Ist Lehrern und Erziehern die Abgabe einer Bedarfsmedikation nach Absprache mit den Sorgeberechtigten oder den behandelnden Ärzten zumutbar, besteht kein Anspruch auf häusliche Krankenpflege während des Schulbesuchs allein zur Medikamentenabgabe bei Eintritt eines Notfalls. (Hier Zumutbarkeit der Anwendung durch Betreuungspersonen bejaht für ein krampflösendes Medikament zur Anwendung in der Mundhöhle.)

 

Tenor

I. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Antragstellerin mit häuslicher Krankenpflege als spezielle Krankenbeobachtung durch eine medizinische Fachkraft während des täglichen Schulbesuchs.

Die am ... Dezember 2010 geborene und bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte Antragstellerin leidet an einer angeborenen Leukodystrophie vom Typ eines Morbus Canavan (ICD-10 E75.2) mit Epilepsie. Zur Anfallprävention wurde ihr Sultiam (Ospolot 50 mg) verordnet.

Die Antragstellerin besucht die Förderschule in H..

Wegen täglich mehrfacher Absencen verordnete die behandelnde Kinderärztin, I. P., am 17. September 2018 spezielle Krankenbeobachtung im Umfang von täglich acht Stunden im Familienhaushalt und in der Schule zur Epilepsiebeobachtung und Versorgung bei Anfällen.

Der von der Antragsgegnerin hinzugezogene MDK verneinte in einer Stellungnahme vom 8. Oktober 2018 die Notwendigkeit spezieller Krankenbeobachtung. Berichten der Klinik C. vom 17. August 2018 und des Klinikums D. vom 23. August 2018 (Bl. 12 der SG-Akte) zufolge seien seit der Einstellung auf das Antiepileptikum keine Anfälle mehr aufgetreten. Bei selbstlimitierenden fokalen Anfällen seien keine lebensbedrohlichen Situationen zu erwarten. Die allgemeine Beaufsichtigung des Kindes sei ausreichend.

Mit Bescheid vom 15. Oktober 2018 lehnte die Antragstellerin daraufhin eine Kostenübernahme über den 28. Oktober 2018 hinaus ab.

Mit am 8. November 2018 eingegangenem Schreiben vom 4. November 2018 erhob die Mutter der Antragstellerin hiergegen Widerspruch. Die Antragstellerin sei auf die Krankenpflege angewiesen, um im Falle eines epileptischen Anfalls Notfallmedikamente zu verabreichen und Zusatznahrung zu verabreichen. Zudem verschlimmerten sich zunehmend die Demenz, die Beeinträchtigung des Schluckens und Sprechens, die Harninkontinenz und die Koordinationseinschränkungen.

In einem beigefügten Schreiben vom 5. November 2018 (Bl. 74 f. der SG-Akte) teilt die Kinderärztin der Antragstellerin mit, aktuell stehe der Gewichtsverlust trotz hochkalorischer Zusatzernährung im Vordergrund, außerdem die Absencenepilepsie, wobei sich bei möglichen Krampfanfällen die Verabreichung einer Notfallmedikation in kürzester Zeit erforderlich mache, sowie der zunehmende Orientierungsverlust. Eine Betreuung und Begleitung sei erforderlich, um der Antragstellerin den Schulbesuch zu ermöglichen, solange das noch möglich sei.

Gegenüber dem MDK erklärte die Kinderärztin in einem Fragebogen vom 23. November 2018, dass die Anfallsfrequenz für die Krankenbeobachtung nicht Ausschlag gebend sei. Es gehe auch nicht nur um den Krampfanfall, sondern um zunehmende Demenz, Orientierungsverlust, Schmerzreduktion und dergleichen. Auf die Frage nach dem letztmaligen Status epilepticus machte die Ärztin keine Angaben; im Anfallsprotokoll für Oktober 2018 waren keine Anfälle dokumentiert.

Der erneut hinzugezogene MDK hielt nach Auswertung des Berichts des Klinikums D. vom 23. August 2018 (Bl. 12 der SG-Akte), der Angaben der Kinderärztin (Bl. 74 f. der SG-Akte), des Pflegegutachtens vom 20. März 2019 (Bl. 51 ff. der SG-Akte) und des Rehabilitationsentlassungsberichts der Klinik B. über den Aufenthalt vom 10. Januar bis 7. Februar 2019 (Bl. 15 ff. der SG-Akte) in einer Stellungnahme vom 4. April 2019 an seinem ablehnenden Votum fest. Nach Reduzierung der antiepileptischen Medikation wegen des Gewichtsverlustes seien verstärkt Absencen eingetreten, aber keine komplizierten Krampfanfälle bzw. Status epilepticus; Notfallmedikamente hätten nicht verabreicht werden müssen.

Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2019, gestützt auf die Stellungnahmen des MDK zurück. Die hiergegen am 16. Mai 2019 erhobene Klage im Hauptsacheverfahren ist unter dem Aktenzeichen S 47 KR 1676/19 beim SG Dresden anhängig.

Am 30. April 2019 beantragte die Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung häuslicher K...

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