Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. illegales Beschäftigungsverhältnis. Fiktion einer Nettolohnvereinbarung. Verfassungsmäßigkeit. Lohnsteuerberechnung bei Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte beim Arbeitgeber

 

Orientierungssatz

1. Zum Vorliegen eines illegalen Beschäftigungsverhältnisses.

2. Bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen obliegt es dem Rentenversicherungsträger, Sozialversicherungsbeiträge auf der Grundlage einer fiktiven Nettolohnvereinbarung nach zu erheben. Dabei ist die hinzuzurechnende Lohnsteuer nach der ungünstigsten Steuerklasse zu berechnen, sofern dem Arbeitgeber keine Steuerkarte vorliegt.

3. Es bestehen keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der in § 14 Abs 2 S 2 SGB 4 geregelten Fiktion einer Nettolohnvereinbarung.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. Der Streitwert wird auf 9.299,38 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen im Rahmen einer Betriebsprüfung.

Die Klägerin betreibt ein Friseurgeschäft. Von Mai 2003 bis Februar 2005 beschäftigte die Klägerin die Beigeladene zu 4) als Friseurin, ohne dass bei der Einzugsstelle eine Anmeldung für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag erfolgte. Für den genannten Zeitraum wurden keine Beiträge zur Sozialversicherung nachgewiesen und entrichtet. Es wurden auch keine Lohnsteuern einbehalten und abgeführt. Die Beigeladene zu 4) bezog zugleich vom 01.05.2003 bis 24.04.2004 Arbeitslosengeld und danach Arbeitslosenhilfe bis 31.12.2004.

Mit Schreiben vom 25.02.2005 legte die Klägerin der Finanzverwaltung im Rahmen einer Selbstanzeige korrigierte Lohnsteueranmeldungen für die Zeit von Mai 2003 bis Januar 2005 vor. Darin wurde die Berechnung der Lohnsteuer auf der Grundlage der Steuerklasse VI vorgenommen, wobei von einer Nettolohnvereinbarung ausgegangen und vom Nettolohn auf einen Bruttolohn hochgerechnet wurde. Im anschließenden steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren wurde die Beigeladene zu 4) zum Umfang ihrer Beschäftigung bei der Klägerin und des dort erzielten Arbeitsentgelts vernommen. Die Prüffeststellungen der sozialversicherungsrechtlichen Auswertung wurden der Beklagten von der Finanzverwaltung mitgeteilt.

Mit Beitragsbescheid vom 24.10.2005 stellte die Beklagte fest, dass die Beigeladene zu 4) im Hinblick auf ihre Beschäftigung bei der Klägerin der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie der Beitragspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag und forderte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 18.991,38 EUR einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 2.237,00 EUR nach.

Ihren hiergegen gerichteten Widerspruch begründete die Klägerin damit, die Beiträge seien zu Unrecht auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse VI nachberechnet worden. Der Klägerin habe eine Lohnsteuerkarte der Beigeladenen zu 4) mit der Lohnsteuerklasse I vorgelegen. Ferner habe auch keine Hochrechnung von einem Nettolohn auf einen Bruttolohn erfolgen dürfen. Es sei nicht erkennbar, dass ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart worden sei. Hierfür treffe die Beklagte die Beweislast. Sofern die Beklagte davon ausgehe, dass ein illegales Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe und daher eine Nettolohnvereinbarung gesetzlich fingiert werde (§ 14 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung [SGB IV]), sei dies unzutreffend. Die Beschäftigung einer Friseuse sei nicht illegal.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie an, ein illegales Beschäftigungsverhältnis liege vor, weil die Klägerin ihrer Pflicht nicht nachgekommen sei, Meldungen an die Einzugsstelle zu erstatten und Beiträge zu zahlen. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV gelte ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart, unabhängig davon, ob steuerlich eine anzuerkennende Nettolohnvereinbarung tatsächlich vorliege. Es sei auch zutreffend von der Lohnsteuerklasse VI ausgegangen worden, weil zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge keine Lohnsteuerkarte vorgelegen habe. Die spätere Berücksichtigung einer anderen Lohnsteuerklasse durch die Finanzverwaltung habe insoweit für die Beitragsermittlung keine Bedeutung. Es sei auch zu bezweifeln, dass tatsächlich eine Lohnsteuerkarte vorgelegen habe, da die Beigeladene zu 4) während des streitigen Zeitraums Leistungen der Bundesagentur für Arbeit erhalten habe und Arbeitsentgelte in der Lohnsteuerkarte nicht bescheinigt wurden. Schließlich deute auch der Umstand, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Selbstanzeige gegenüber dem Finanzamt korrigierte Lohnsteueranmeldungen auf der Grundlage der Steuerklasse VI abgegeben habe, darauf hin, dass eine Lohnsteuerkarte nicht vorgelegen habe.

Mit der am 29.03.2006 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Zur Begründung führt sie an, gegenüber der Finanzverwaltung habe man sich zunächst auf den - für die Klägerin weniger g...

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