Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf für erwerbsfähigen Gehbehinderten. kein Anspruch gem § 21 Abs 4. keine analoge Anwendung von § 28 Abs 1 S 3 Nr 4 SGB 2. Verfassungsmäßigkeit. keine Ungleichbehandlung. Hilfe in sonstigen Lebenslagen. kein atypischer Bedarf

 

Orientierungssatz

1. Eingliederungshilfe gem § 54 Abs 1 S 1 SGB 12 iVm § 55 Abs 2 Nr 6 SGB 9 für ambulant betreutes Wohnen vermag einen Mehrbedarfsanspruch gem § 21 Abs 4 SGB 2 nicht zu begründen, da Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gem § 55 SGB 9 von § 21 Abs 4 SGB 2 gerade nicht erfasst werden.

2. Für einen Anspruch aus einer analogen Anwendung des § 28 Abs 1 S 3 Nr 4 SGB 2 fehlt es bereits an der für eine analoge Anwendung notwendigen planwidrigen Regelungslücke. Einer analogen Anwendung der Vorschrift steht ferner § 3 Abs 3 S 2 SGB 2 entgegen. Danach ist eine Festlegung der Bedarfe, die von den im SGB 2 vorgesehenen Leistungen abweichen, ausgeschlossen.

3. Die Nichtgewährung eines pauschalen Mehrbedarfs für erwerbsfähige Schwerbehinderte, bei denen das Merkzeichen G vorliegt, verstößt nicht gegen das Sozialstaatsprinzip nach Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG.

4. Ein Mehrbedarfsanspruch ergibt sich auch nicht aus Art 3 Abs 1 GG iVm § 28 Abs 1 S 3 Nr 4 SGB 2 und § 30 Abs 1 SGB 12. Der geltend gemachte Mehrbedarf setzt nach den Vorschriften voraus, dass der Hilfebedürftige nicht erwerbsfähig bzw voll erwerbsgemindert ist oder aber die Altersgrenze nach § 41 Abs 2 SGB 12 erreicht hat. Leistungen sind für Personen vorgesehen, die am Arbeitsleben nicht mehr teilnehmen. In der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen liegt ein sachlicher Grund für die Schlechterstellung.

5. Die Gewährung eines pauschalen Mehrbedarfs kann im Rahmen des § 73 SGB 12 nicht erreicht werden. Die Bewilligung eines pauschalen Mehrbedarfs ist weder von der Rechtsfolge des § 73 SGB 12 umfasst noch liegt eine erforderliche atypische Bedarfslage iS des § 73 SGB 12 noch eine im Rahmen einer Ermessensvorschrift für einen Anspruch notwendige Ermessensreduzierung auf Null vor.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 15.12.2010; Aktenzeichen B 14 AS 44/09 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen Schwerbehinderung nach dem SGB II.

Bei dem am 00.00.1975 geborenen Kläger wurde unter dem 01.10.2005 eine Unterschenkelamputation rechts durchgeführt und eine computergesteuerte Beinprothese "C-leg-Prothese" angepasst. In Folge dieser körperlichen und in Folge psychischer Beeinträchtigungen setzte das Versorgungsamt C mit Bescheid vom 23.11.2005 einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 und das Merkzeichen G fest.

Mit Bescheid vom 18.09.2006 bewilligte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe dem Kläger für die Zeit vom 21.02.2006 bis zum 28.02.2007 eine Eingliederungshilfe gemäß § 54 Absatz 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 Absatz 2 Nr. 6 SGB IX für ambulantes Wohnen. Auf einen Weiterbewilligungsantrag des Klägers wurde die Eingliederungshilfe für ambulantes Wohnen bis zum Monat August 2009 fort bewilligt.

Am 11.12.2006 beantragte der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) einschließlich eines Mehrbedarfs für behinderte Hilfebedürftige. Mit Bescheid vom 22.12.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 11.12.2006 bis zum 30.06.2007, wobei sie für den Zeitraum vom 11.12.2006 bis zum 28.02.2007 einen Mehrbedarf zum Lebensunterhalt für behinderte Hilfebedürftige in Höhe von 35 vom Hundert der maßgebenden Regelleistung bewilligte.

Mit Bescheid vom 08.01.2007 hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 22.11.2006 aufgrund eines Krankengeldbezuges des Klägers mit Wirkung zum 01.02.2007 vollständig auf.

Unter dem 23.03.2007 stellte der Kläger einen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit angefochtenem Bescheid vom 12.04.2007 die Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04.2007 bis zum 31.05.2007 in Höhe von monatlich 507,13 EUR und für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 30.09.2007 in Höhe von monatlich 546,65 EUR, errechnet aus 345 EUR Regelleistung und 201,65 EUR anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen der bei dem Kläger vorliegenden Behinderung lehnte die Beklagte ab.

Mit Schreiben vom 18. und 19.04.2007 erhob der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 12.04.2007 Widerspruch, mit dem er einen behindertenbedingten Mehrbedarf, einen befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II sowie anteilige Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 1.6.2007 bis zum 30.9.2007 in Höhe von insgesamt 204,50 EUR geltend machte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2007 wies die Bekla...

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