Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. Arbeitnehmerüberlassung. Feststellung der rückwirkenden Tarifunfähigkeit der CGZP. equal pay-Anspruch der Leiharbeitnehmer. Geltung der vierjährigen Verjährungsfrist. Prüfung des Vorliegens von (bedingtem) Vorsatz. Beitragsberechnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für Nachforderungen auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge gegen Zeitarbeitsunternehmen wegen Tarifunfähigkeit der CGZP (Christliche Gewerkschaft für Zeitarbeit und Personalmanagement) gilt im Regelfall die 4-jährige Verjährungszeit.

2. Bei der Prüfung, ob (bedingter) Vorsatz vorgelegen hat, kommt es nicht auf das Vorenthalten des equal pay (Lohn-) Anspruchs an, sondern auf das Vorenthalten der sich daraus ergebenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge.

3. Bei der Berechnung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge ist dabei auf die Differenz der bereits gezahlten zu den sich aus dem equal pay-Anpruch ergebenden Beiträgen im jeweils gesamten Ausleihzeitraum pro Arbeitnehmer abzustellen.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 18.4.2013, so wie er sich nach dem Teilabhilfebescheid vom 24. September 2013 darstellt, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 2013, so wie sich wiederum dieser nach dem angenommen Teilanerkenntnis darstellt, wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, einen neuen Bescheid zu erlassen für die Fälligkeitszeit ab dem 1. Januar 2008 unter Berücksichtigung der Differenz zwischen den bereits gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen und den von der Beklagten für die gesamte Einsatzzeit geforderten Sozialversicherungsbeiträgen.

3. Die Beklagte trägt drei Viertel und die Klägerin ein Viertel der Kosten des Verfahrens.

4. Der Streitwert wird auf 243.317,85 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Nacherhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nach Betriebsprüfung.

Die Klägerin ist ein Unternehmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung. Die zwischen ihr und ihren (Leih-)Arbeitnehmern geschlossenen Arbeitsverträge der Jahre 2005 bis 2009 verweisen auf die zwischen den Zeitarbeitgeberverbänden und der Tarifgemeinschaft christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalmanagement (CGZP) vereinbarten Tarifverträge mit den darin festgelegten Stundenlöhnen. Über die tarifvertraglich festgelegte Entlohnung hinaus gewährte die Klägerin ihren beschäftigten Leiharbeitnehmern weitere Vergünstigungen. Unter anderem wurde ihnen neben Fahrkostenzuschüssen auch die Fahrzeit zu den teilweise weit entfernten Ausleihbetrieben als Arbeitszeit vergütet. Auf alle ausgezahlten Vergütungsbestandteile wurden im Wesentlichen ordnungsgemäß Gesamtsozialversicherungsbeiträge abgeführt. Mit Betriebsprüfungsbescheid vom 10. Dezember 2008 hat die Beklagte dies für den Prüfzeitraum 2004 bis 2007 zuletzt festgestellt.

Seit ihrer Gründung im Dezember 2002 war allerdings die Tariffähigkeit der CGZP umstritten und damit auch die Wirksamkeit der von ihr abgeschlossenen Tarifverträge. In zahlreichen arbeitsgerichtlichen Rechtsstreiten wurde darüber gestritten. Das Ergebnis war insbesondere für die betroffenen Leiharbeitnehmer deshalb von Interesse, weil sich in § 10 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) seit 2004 ein Passus befindet, wonach bei Unwirksamkeit eines Tarifvertrages (respektive eines auf diesen verweisenden Arbeitsvertrags) ein Anspruch auf gleiche Entlohnung wie im jeweiligen Einsatzunternehmen besteht (sogenanntes equal-pay-Prinzip). Die CGZP-Tariflöhne lagen fast durchgehend unter den einsatzortüblichen Löhnen.

Mit Beschluss vom 7. Dezember 2009 hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg einen Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. April 2009 bestätigt, wonach die CGZP nicht tariffähig sei. Auf die dagegen eingelegte Revision bestätigte auch das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 14. Oktober 2010 (1 ABR 19/12) die Tarifunfähigkeit der CGZP. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde (1 BvR 1104/11) hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. März 2014 (!) nicht zur Entscheidung angenommen. Auch nach der Entscheidung des BAG vom 14. Dezember 2010 waren noch nicht alle Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Tariffähigkeit der CGZP geklärt. Es wurde insbesondere weiter darüber gestritten, ob die CGZP-Tarifverträge von Anfang an oder erst ab der Entscheidung des BAG unwirksam waren und ob arbeitsvertragliche Ausschlussfristen zur Geltendmachung der “equal-pay„-Ansprüche Gültigkeit hätten. Letzteres hat das BAG mit Entscheidung vom 23. März 2011 (5 AZR 7/10) dann verneint.

Bis 28. April 2011 war der equal-pay-Anspruch in § 10 Abs. 4 AÜG als antragsabhängiger Anspruch ausgestaltet (“Der Leiharbeitnehmer kann im Falle der Unwirksamkeit der Vereinbarung mit dem Verleiher nach § 9 Nr. 2 von diesem die Gewährung der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgeltes verlangen„). Ab 29. April 2011 war es ein unbedingter Anspruch (“Im Falle d...

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