Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Individualansprüche der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Meistbegünstigungsgrundsatz. angemessene Unterkunfts- und Heizkosten. Erhöhung durch Umzug ohne vorherige Zusicherung. Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen für einen Drei- bzw Vier-Personenhaushalt in Berlin. Zumutbarkeit eines Wohnungswechsels

 

Orientierungssatz

1. Zwar hat das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 7.11.2006 (B 7b AS 8/06 R = BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1) entschieden, dass im Hinblick auf die rechtlichen Besonderheiten einer Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 SGB 2 und wegen der besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten und daraus resultierenden Zweifel hinsichtlich der Bedarfsgemeinschaft die Leistungsanträge in Erweiterung der üblichen Auslegungskriterien danach zu beurteilen sind, wie die an einer Bedarfsgemeinschaft beteiligten Personen Leistungen beantragen müssen, um die für die Bedarfsgemeinschaft insgesamt gewünschten Leistungen zu erhalten; die erweiternde Auslegung gilt allerdings nur für eine Übergangszeit bis zum 30.6.2007 (Tag der Antragstellung). Für eine (am 7.9.2007) erhobene Klage kommt eine erweiternde Auslegung danach nicht mehr in Betracht.

2. Zu den angemessenen Unterkunfts- und Heizkosten nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 in Berlin im Jahr 2006:

Grundsätzlich ist für drei Personen eine Wohnung mit einer Gesamtfläche bis höchstens 80 qm mit einer Bruttokaltmiete von 476,00 € und für vier Personen eine Wohnung mit einer Gesamtwohnfläche bis höchstens 90 qm mit einer Bruttokaltmiete von 535,50 € sowohl abstrakt als auch konkret angemessen.

Bei der Ermittlung der angemessenen Heizkosten ist von einem Grenzwert von 100,00 € für den Monat Juni 2006 und von 112,00 € für den Monat November 2006 auszugehen.

3. Allein der typischerweise mit einem Wohnungswechsel verbundene Verlust von Annehmlichkeiten der bislang bewohnten Wohnanlage macht einen Umzug nicht unzumutbar.

 

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 31.05.2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 01.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2007 Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 01.06.2006 bis 31.10.2006 in Höhe von monatlich 182,44 € und für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis 30.11.2006 in Höhe von 150,46 € zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Kosten der Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 01.06.2006 bis 30.11.2006.

Die 61jährige Klägerin bezieht seit dem 01.01.2005 laufende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bewohnte bis zum 31.03.2006 mit ihren beiden Enkeln, L R K (11 Jahre) und L D S K (12 Jahre), deren Vormund sie ist, eine Einliegerwohnung im Haus der Familie H, im F….weg …, …. B zu einer Bruttowarmmiete von 720,87 €, von der nach Abzug der Warmwasserpauschalen monatlich 704,07 € durch die Beklagte anerkannt wurden. Anfang Februar 2006 schloss die Klägerin ohne Zusicherung der Beklagten einen neuen Mietvertrag zum 01.04.2006 für die derzeitig bewohnte Wohnung. Die Wohnung befindet sich in einer Wohnanlage für familienorientiertes und altersgerechtes Wohnen in der O….str. .., …. B . In der Wohnanlage können verschiedene Generationen unter einem Dach leben und neben ihrer eigenen Wohnung die beheizbaren Eingangshallen, Hobby- und Gemeinschaftsräume sowie Dachterrassen für nachbarschaftliche Aktivitäten nutzen. Die Miete für die neue Wohnung betrug im streitigen Zeitraum 716,76 € und setzte sich aus einer Grundmiete in Höhe von 436,76 €, Betriebskosten in Höhe von 188,05 €, Heiz-/Warmwasserkosten in Höhe von 85 € sowie einem Zuschlag in Höhe von 6,95 € zusammen. Die Wohnung wird mit Gas beheizt und die beheizte Gebäudefläche beträgt insgesamt 1.355,36 m².

Mit Bescheid vom 31.05.2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin sowie ihren beiden Enkeln - die von der Beklagten als Bedarfsgemeinschaft geführt wurden - Leistungen für den Zeitraum vom 01.06.2006 bis 30.11.2006 in Höhe von monatlich 687,76 €, wobei Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 525,20 € anerkannt wurden. Der Klägerin wurden anteilig 175,06 € Kosten der Unterkunft und Heizung gewährt.

Mit Widerspruch vom 20.06.2006 wandte sich die Klägerin gegen den Bescheid vom 31.05.2006 mit der Begründung, dass die Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe zu übernehmen seien, weil der Umzug erforderlich gewesen sei. Denn die Beklagte habe die Klägerin zum einen bereits auf die Unangemessenheit der zuvor bewohnten Wohnung hingewiesen und zum anderen habe der Vermieter dieser Einliegerwohnung Eigenbedarf angemeldet. Des Weiteren habe die Beklagte unberücksichtigt gelassen, dass die Klägerin nach dem Tod ihrer Tochter ihre beiden Enkel aufgenommen habe, damit diese nicht in einem Kinderheim untergebracht werden müssen, wodurch die Entstehung weitaus höherer Kosten für den ko...

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