Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Kostenersatz durch Erben. Bestimmtheit des Verwaltungsakts. Vorliegen einer besonderen Härte. Schonvermögen. Vertrauensschutz. Bindungswirkung einer mündlichen Zusicherung. Verfassungsmäßigkeit. sozialgerichtliches Verfahren. Kostenpflichtigkeit des Verfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die konkrete Ausprägung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ergibt sich in erster Linie aus dem einfachen Recht. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip gem Art 20 Abs 3 GG fließende allgemeine Gebot des Vertrauensschutzes kommt daneben in Form einer Inhaltskontrolle der Ausgestaltung und Anwendung des einfachen Rechts zum Tragen.

2. Eine mündliche Versicherung, dass keine weiteren Forderungen gegen einen Erben eines Leistungsempfängers bestehen, begründet keine schützenswerte Vertrauensposition für den Erben gegenüber Forderungen gem § 35 SGB 2. Eine solche Versicherung bedürfte zur Wirksamkeit in entsprechender Anwendung von § 34 Abs 1 S 1 SGB 10 der Schriftform.

3. Die Kostenentscheidung für Klagen gegen Rückforderungsbescheide auf Grundlage von § 35 SGB 2 richtet sich nach § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Nach § 35 SGB 2 in Anspruch genommene Kläger gehören nicht zu dem in § 183 SGG genannten Personenkreis, weil sie nicht in der Eigenschaft als Versicherte, Leistungsempfänger oder Sonderrechtsnachfolger nach § 56 SGB 1 klagen (Anschluss an BSG vom 23.3.2010 - B 8 SO 2/09 R = SozR 4-5910 § 92c Nr 1).

 

Orientierungssatz

1. Ein Bescheid über den Kostenersatz durch Erben gem § 35 SGB 2 ist schon dann hinreichend bestimmt, wenn der Adressat des Verwaltungsakts die Höhe der Haftungsschuld erkennen kann (vgl BSG vom 23.3.2010 - B 8 SO 2/09 aaO).

2. Wenn der Erbe selbst nicht hilfebedürftig ist, ergibt sich eine besondere Härte iS des § 35 Abs 2 Nr 2 SGB 2 nicht bereits daraus, dass das Erbe für den Erben selbst Schonvermögen wäre (vgl LSG Stuttgart vom 22.12.2010 - L 2 SO 5548/08 = ZFSH/SGB 2011, 272).

3. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 35 SGB 2 bestehen nicht.

 

Tatbestand

Die Klägerin wehrt sich gegen die Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von ihr als Erbin.

Der am …. 1946 geborene Vater der Klägerin stellte am 13. Oktober 2004 einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei dem Beklagten. Insgesamt erhielt er ab Januar 2005 bis zu seinem Tod zwischen dem … Oktober 2006 und dem ... November 2006 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 11.918,04 EUR von dem Beklagten (ohne Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung), davon 7.896,53 EUR Regelleistung und 4.021,51 EUR für Kosten der Unterkunft. Zum Zeitpunkt der Antragstellung hatte der Vater der Klägerin ein Vermögen in Höhe von insgesamt 22.122,81 EUR (Bl. 23 der Leistungsakte des Vaters der Klägerin). Die Klägerin erhielt zu keinem Zeitpunkt selbst Leistungen nach dem SGB II.

Ende November 2006 erfuhr die Klägerin von dem Tod ihres Vaters, mit dem sie keinen Kontakt hatte. Neben ihrem Bruder war sie Alleinerbin zur Hälfte des Nachlasses (Bl. 25 der Verwaltungsakte). Mit Schreiben vom 11. Dezember 2006 informierte die Klägerin den Beklagten über den Tod ihres Vaters und bat um Mitteilung von eventuell bestehenden Forderungen des Beklagten (Bl. 10 der Verwaltungsakte). Mit Schreiben an das Finanzamt Schöneberg vom 31. Januar 2007 bat der Beklagte um Mitteilung des Werts des Nachlasses. Mit weiterem Schreiben an das Amtsgericht Hohenschönhausen vom 31. Januar 2007 bat der Beklagte um Mitteilung, wer das Erbe angetreten hat.

Mit Schreiben an die Klägerin vom 1. Februar 2007 teilte der Beklagte mit, dass die laufenden Leistungen nach der Mitteilung des Tods des Vaters nicht mehr rechtzeitig eingestellt werden konnten, so dass über den Todestag hinaus Leistungen gewährt wurden. Daher seien insgesamt 522,65 EUR überwiesen worden, die nicht mehr zustanden. Dieser Betrag gehöre nicht zum Nachlass, so dass er auch nicht auf die Erben übergegangen sei. Der Beklagte bat um die Überweisung des genannten Betrags. Hinweise auf weitere Rückforderungen enthielt das Schreiben nicht. Für Einzelheiten wird auf Bl. 18 der Verwaltungsakte verwiesen.

Mit Schreiben vom 6. Juli 2007 teilte das Finanzamt Schöneberg mit, dass noch keine Mitteilung über einen Nachlass eingegangen sei. Mit Schreiben an das Finanzamt Schöneberg vom 18. Juli 2007 bat der Beklagte erneut um Mitteilung des Werts des Nachlasses. Mit Schreiben an die Klägerin von demselben Tag bat der Beklagte um Rücksendung eines Nachlassprotokolls, um einen eventuellen Ersatzanspruch gem. § 35 SGB II zu prüfen (Bl. 31 der Verwaltungsakte). Am 23. Juli 2007 gab die Klägerin persönlich eine Aufstellung der Nachlassgegenstände nebst Belegen beim Beklagten ab (Bl. 33-48 der Verwaltungsakte). Der Beklagte wertete das anlässlich dieser Gelegenheit stattfindende Gespräch als Anhörung und notierte dies handschriftlich in der Akte (Bl. 33 der Verwaltungsakte). Auf Grundlage der Angaben der Klägerin ermittelte der Beklagte einen Nachlasswert nach A...

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