Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht der im Besucherdienst des Bundesrates tätigen Honorarkräfte. Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Abgrenzung zur selbständigen Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 SGB 4. Ausgangspunkt der Prüfung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesozialgerichts - BSG - (vgl Urteil vom 24.1.2007 - B 12 KR 31/06 R = SozR 4-2400 § 7 Nr 7, Urteil vom 28.5.2008 - B 12 KR 13/07 R) zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt und aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt.

2. Die für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechenden Umstände überwiegen, wenn die Mitarbeiter des Besucherdienstes zeitlich, örtlich und inhaltlich eng in die betriebliche Organisation des Bundesrates eingegliedert und nach außen hin eindeutig als Mitarbeiter des Bundesrates in Erscheinung getreten sind: So war der zeitliche und organisatorische Rahmen bei Übernahme einer Führung durch den Ablauf- und Raumplan konkret vorgegeben und die organisatorische Freiheit der Besucherführer insofern auf die Nutzung etwaiger Freiräume, die durch eine geringe Führungsdichte oder durch konkrete Abstimmung mit anderen Kollegen entstehen, beschränkt.

3. Dass die Besucherführer innerhalb des vorgegebenen Rahmens die Informationen und Tatsachen selbständig und eigenverantwortlich vermitteln sollten und sich die Informationen auch überwiegend selbständig verschafften, spricht nicht gegen das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung. Insofern handelt es sich eher um Dienste höherer Art, in denen ein gewisser inhaltlicher Freiraum üblich ist und sich die Weisungsgebundenheit zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert. Die Qualität einer Besucherführung wird besonders dadurch mitbestimmt, dass sich der Führer auf die Interessen und Wünsche der Gruppe einstellen kann. Insofern wäre es auch im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses lebensfremd, dass ein starrer inhaltlicher Rahmen oder gar konkrete Formulierungen vorgegeben würden.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten sowie des Beigeladenen zu 7) zu tragen. Die übrigen Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens um die Frage, ob die für die Klägerin beim Bundesrat im Besucherdienst tätigen Honorarkräfte, die Beigeladenen zu 1) bis 15) und der bereits verstorbene Herr S. W. der Sozialversicherungspflicht unterliegen sowie um die diesbezügliche Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Jahre 2001 bis 2004 in Höhe von 15.626,00 €.

Die Klägerin hält im Bundesrat einen Besucherdienst vor, der insbesondere Führungen durch das Bundesratsgebäude, den Besuch von Plenarsitzungen sowie Rollenspiele zur Simulation von Plenarsitzungen durchführt. Im Besucherdienst sind überwiegend Studenten und für andere Auftraggeber hauptberuflich Selbstständige auf Basis von inhaltsgleichen Honorarverträgen tätig.

In dem streitigen Prüfzeitraum vom 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2004 waren die Beigeladenen zu 1) bis 15) sowie der bereits verstorbene Herr S. W. in unterschiedlichem zeitlichen Umfang für die Klägerin im Besucherdienst tätig.

In dem von der Klägerin gegenüber den Beigeladenen zu 1) bis 15) und dem Herrn W. jeweils verwendeten Vertragsmuster heißt es auszugsweise:

§ 1

(1) Der AN [Auftragnehmer] übernimmt ab dem […] im Rahmen des Besucherdienstes des Bundesrates in Berlin nach Maßgabe einzelner Vereinbarungen zwischen dem AN und der AG [Auftraggeberin = Kläger] die selbstständige Betreuung von Besuchergruppen und Einzelbesuchern.

(2) Die Betreuung erfolgt durch Vorträge und Diskussionen, gegebenenfalls in Verbindung mit Rollenspielen, im Plenarsaal und anderen Sitzungsräumen des Bundesrates, jeweils einschließlich der Beantwortung von Fragen der Besucher.

(3) Die zu vermittelnden Informationen umfassen folgende Themenkreise:

Status, Aufgaben, Arbeitsweise und Organisation des Bundesrates, seine politische Zusammensetzung in Vergangenheit und Gegenwart, seine Rolle im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland, seine Vorgänger in der deutschen Verfassungsgeschichte, das föderative System nach dem Grundgesetz. Die inhaltliche Aufgabenstellung im Rahmen dieses Konzeptes besteht in der selbstständigen und eigenverantwortlichen Vermittlung von Informationen und Tatsachen.

§ 2

(1) Die AG erteilt dem AN für jeden Informationstermin einen Einzelauftrag. Der AN wird unverzüglich erklären, ob er den Auftrag annimmt. Kann er vorhersehen, dass er für mehr als eine Woche keine Aufträge annehmen wird, wird er die AG unverzüglich informieren, damit sich diese bei ihren organisatorischen Planungen darauf einrichten kann.

(2) Aus diesem Vertrag kann der AN keinen Anspruch auf die ...

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