Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. bedarfsorientierte Grundsicherung. Anwendbarkeit von § 44 SGB 10. Einkommenseinsatz. Anrechnung des Kindergeldes. volljähriges behindertes Kind

 

Orientierungssatz

1. Bei Leistungen nach §§ 41ff SGB 12 und nach dem GSiG handelt es sich um Sozialleistungen iS des § 44 Abs 1 S 1 SGB 10.

2. Das an die Eltern ausgezahlte Kindergeld eines in häuslicher Gemeinschaft lebenden volljährigen behinderten Kindes ist nicht auf die Leistungen nach dem GSiG anzurechnen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 16.10.2007; Aktenzeichen B 8/9b SO 16/06 R)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Nachzahlung von Leistungen zur Grundsicherung nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) für die Zeit vom 01.09.2003 bis 30.06.2004.

Der ... 1966 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 und dauerhaft erwerbsgemindert. Sein Vater ist zu seinem Betreuer bestellt. Vom 01.09.2003 bis zum 31.12.2004 erhielt der Kläger Leistungen zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG). Seit dem 01.01.2005 erhält er Leistungen zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII). Von Beginn der Leistungserbringung an rechnete der Beklagte das Kindergeld, welches an die Eltern des Klägers gezahlt wurde, als Einkommen des Klägers in Höhe von 154,00 EUR monatlich an. Die entsprechenden Bewilligungsbescheide für die Zeit von September 2003 bis Juni 2004 vom 01.10.2003, 16.02.2004, 18.02.2004 und 24.03.2004 wurden bestandskräftig. Mit Bescheid vom 24.06.2004 berechnete der Beklagte die Leistungen für den Monat Juli 2004 neu. Auch dabei berücksichtigte er das Kindergeld als Einkommen des Klägers. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger hinsichtlich der Anrechnung des Kindergeldes am 01.07.2004 Widerspruch. Mit Schreiben vom 17.06.2005 beantragte er außerdem die Rücknahme der bisherigen Leistungsbescheide gemäß §§ 48, 44 SGB X für die Vergangenheit. Zur Begründung berief er sich auf eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes aus dem April 2005, worin dieses Gericht die Anwendung von § 44 SGB X auf Grundsicherungsleistungen bejaht habe.

Unter dem 30.08.2005 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er dem Widerspruch ab dem 01.07.2004 abhelfe, jedoch eine Rücknahme für die Zeit davor ablehne. Mit Bescheid vom 24.10.2005 lehnte der Beklagte den Antrag auf Rücknahme der Bescheide und Gewährung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz für die Zeit ab 01.01.2003 bis 30.06.2004 ab. Zur Begründung verwies er auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.11.2003, wonach § 44 SGB X auf das Leistungsrecht des Bundessozialhilfegesetzes nicht anwendbar sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter dem 07.11.2005 Widerspruch, den der Beklagte mit Bescheid vom 27.12.2005 ablehnte.

Zur Begründung seiner am 04.01.2006 erhobenen Klage wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2005 zu verurteilen, ihm unter entsprechender Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 01.10.2003, 16.02.2004, 18.02.2004 und 24.03.2004 für die Zeit vom 01.09.2003 bis zum 30.06.2004 weitere Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von 154,00 EUR pro Monat nachzuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Der Beklagte hat im Zeitraum der Leistungsbewilligung vom 01.09.2003 bis zum 30.06.2004 zu Unrecht das an die Eltern des Klägers gezahlte Kindergeld als Einkommen des Klägers berücksichtigt.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und beschweren den Kläger im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Beklagte hat zu Unrecht in der Zeit vom 01.09.2003 bis zum 30.06.2004 das an den Vater des Klägers gezahlte Kindergeld als Einkommen des Klägers angerechnet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Nachzahlung der ihm deswegen zu Unrecht nicht gezahlten Leistungen zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 154,00 EUR.

Der Anspruch ergibt sich aus § 44 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 SGB X.

Der Anwendung von § 44 SGB X steht § 1 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB X nicht entgegen. Danach gelten für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände zur Ausführung von besonderen Teilen dieses Gesetzbuches, die nach Inkrafttreten der Vorschrif...

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