Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wie-Berufskrankheit. neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. gruppentypische Risikoerhöhung. epidemiologische Evidenz. Outdoor-Worker. sonnenbedingte UV-Strahlenexposition. Dachdecker. bösartige Veränderung der Kopfhaut

 

Orientierungssatz

1. Zur Anerkennung aktinischer Keratosen (bösartige Veränderung der Haut) eines Dachdeckers, der ca vierzig Jahre lang sonnenbedingter UV-Strahlung ausgesetzt war, als Wie-Berufskrankheit gem § 9 Abs 2 iVm Abs 1 S 2 SGB 7.

2. Die aktinische Keratose stellt ein Plattenepithelkarzinom der Epidermis in situ dar und ist somit als carcinoma in situ - als Vorform/Vorstufe des Plattenepithelkarzinoms - anzusehen.

3. Eine Dosis-Wirkung-Beziehung, die zwischen sonnenbedingter UV-Strahlung und aktinischen Keratosen bislang nicht belegt ist, ist nicht notwendige Voraussetzung für den Nachweis einer Gruppentypik.

 

Tenor

Der Bescheid vom 21.12.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2010 wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass die bei dem Kläger vorliegenden Aktinischen Keratosen eine Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 des SGB VII darstellen.

Die Beklagte trägt ¾ der außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt zuletzt noch die Anerkennung der bei ihm vorliegenden präkanzerösen Veränderungen seiner Haut als Versicherungsfall einer Wie-Berufskrankheit.

Der am 00.00.000 geborene Kläger war bis 1970 als Schweißhelfer und Heizungsmonteur beschäftigt. Seit 1970 ist er im Dachdeckerhandwerk tätig, von 2003 bis 2008 als Dachdecker für die Firma N. C. Bedachungen GmbH, B ... Zu seinen Aufgaben als Dachdecker gehörten sämtliche Arbeiten im Bereich von Flach- und Giebeldächern, u.a. das Verlegen von Dachpfannen, das Verlegen von Metalldächern (Kupfer, Zink und Aluminium), die Ausführung von Fassadenarbeiten sowie die Durchführung von Klebe- und Schweißarbeiten mit Bitumen und Kunststofffolien. Während dieser Tätigkeiten war er auf den Dächern natürlicher UV-Strahlung unterschiedlicher Wellenlänge ausgesetzt.

Nachdem der Dermatologe PD Dr. L. bei dem Kläger aufgrund eines histologischen Befundes an lichtexponierten Stellen seiner Haut die Diagnose einer Keratosis solaris gestellt hatte, zeigte die Hautärztin Dr. X. unter dem 10.01.2008 eine Berufskrankheit an. Die Beklagte zog Unterlagen von Dr. X. bei und erhob anlässlich eines Besuchs bei dem Kläger am 19.02.2008 eine ausführliche Berufsanamnese. Nach Einholung einer Stellungnahme ihres technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 05.05.2008 holte die Beklagte eine Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. C. vom 14.04.2009 ein und veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch die Fachärztin für Dermatologie Prof. Dr. G ... Prof. Dr. G. gelangte in ihrem unter dem 29.09.2009 erstellten Gutachten zu dem Ergebnis, die insbesondere im Kopf- und Rückenbereich vorliegenden multiplen aktinischen Keratosen seien auf die Exposition des Klägers gegenüber natürlicher UV-Strahlung während seiner Tätigkeit als Dachdecker zurückzuführen. Angesichts der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen der Ausübung von Tätigkeiten im Freien und bösartigen Hautveränderungen empfahl sie, die Erkrankung des Klägers als Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) anzuerkennen und schätzte die aus den Folgen resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 0% ein. Nach Stellungnahme ihrer Abteilung für Berufskrankheiten (Dr. I.) vom 07.10.2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit mit Bescheid vom 21.12.2009 ab. Zur Begründung führte sie aus, das bei dem Kläger vorliegende Krankheitsbild lasse sich keiner Berufskrankheit der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zuordnen. Eine Anerkennung als Wie-Berufskrankheit scheide ebenfalls aus, da in den einschlägigen Fachkreisen noch keinerlei Konsens darüber herrsche, ob und ggf. ab wann von einer Risikoerhöhung im Rechtssinne sowie von einer Verdoppelung des Erkrankungsrisikos auszugehen sei. Der Kläger legte am 18.01.2010 Widerspruch und verwies auf die von ihm überwiegend durchgeführte Verlegung von Metalldächern. Da die Sonneneinstrahlung von Metalldächern noch verstärkt werde, sei von einem hinreichenden Ursachenzusammenhang zwischen der Sonneneinstrahlung und seiner Hauterkrankung auszugehen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2010 zurück. Vertiefend führte sie aus, die sog. Gruppentypik, d.h. das höhere Erkrankungsrisiko einer bestimmten Personengruppe, sei noch nicht allgemein nachgewiesen. Überdies bestünden Zweifel an der Verursachung im konkreten Fall, da sich im Rahmen der Untersuchung durch Prof. Dr. G. auch Lichtschäden an Körperteilen des Klägers gezeigt hätten, welche nicht sonnenexponiert gewesen seien. Es sei daher von einer erheblich höheren UV-Freizeitexposition auszugehen, als vom Kläger angegeben.

Hiergegen richtet sich...

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