Rz. 1

Haftung im steuerlichen Sinn ist das Einstehenmüssen für fremde Leistungspflicht. Der Haftungsschuldner schuldet nicht wie der Steuerschuldner[1] die Steuer, sondern haftet für sie. Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht bedeutet Haftung das Einstehenmüssen nicht für irgendeine Schuld, also auch für die eigene, sondern für die Schuld eines anderen. Der Steuerschuldner selbst haftet daher nach dem Haftungsbegriff der AO nicht. Dies ergibt sich u. a. aus § 71 Abs. 1 AO und § 191 Abs. 1 AO.[2] Der Steuerschuldner kann auch dann nicht Haftender sein, wenn er die Tatbestandsmerkmale einer Haftungsvorschrift erfüllt. Haftung und Steuerschuldnerschaft für denselben Betrag schließen sich grundsätzlich gegenseitig aus.[3] Ausnahmsweise kann eine Haftung gegen den Steuerschuldner als Steuerhinterzieher nach § 71 AO in Betracht kommen, wenn wegen Aufteilung der Steuerschuld nach §§ 268, 278 AO gegen diesen Steuerschuldner nicht vollstreckt werden kann.[4] Ausnahmsweise kann auch dann der Steuerschuldner als Haftender in Anspruch genommen werden, wenn er als Geschäftsführer einer GmbH die LSt für sich selbst nicht oder nicht vollständig an das FA abgeführt hat.[5] Im Zollrecht ist die Haftung durch den ZK wegen der breiten Fächerung der Zollschuldner überflüssig geworden.[6] Eine klare Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung kennt das gemeinschaftliche Zollrecht jedoch ohnehin nicht.

Voraussetzung für eine Haftung ist demgemäß, dass überhaupt ein Anspruch gegen einen Dritten, hier ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis[7], besteht.[8] Ist der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bereits erloschen[9], so ist auch die Geltendmachung des Haftungsanspruchs grundsätzlich ausgeschlossen (s. Rz. 27).

 

Rz. 2

Für die Haftung kommt jeder Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis in Betracht, also neben dem Steueranspruch auch der Haftungsanspruch[10], der Rückforderungsanspruch[11] und der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung .[12]

Der Haftungsschuldner, das ist laut gesetzlicher Begriffsbestimmung des § 191 Abs. 1 AO derjenige, der kraft Gesetzes haftet, hat für die Erfüllung des der Haftung zugrunde liegenden Anspruchs einzustehen. Erbringt er diese Leistung nicht, so wird sein Vermögen dem Zugriff des Gläubigers unterworfen. Soweit dieser Zugriff des Gläubigers nur für bestimmte Sachen gegeben ist (vgl. Rz. 14, 19), hat der Gläubiger ein Verwertungsverbot an diesen Sachen.

Mehrere Haftende nebeneinander sind wie auch mehrere Steuerschuldner nebeneinander Gesamtschuldner. Wenn dieser Fall auch nicht in § 44 AO ausdrücklich genannt ist, so sind auch der Steuerschuldner und der Haftende Gesamtschuldner.[13]

 

Rz. 3

Zweck der Schaffung einer solchen Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen oder auf bestimmte Gegenstände eines Dritten ist die Stärkung der Durchsetzbarkeit der ursprünglichen Schuld.[14] Kann oder will der Steuerschuldner seine Schuld nicht begleichen und fruchten auch Zwangsmittel nichts, so sollen andere Personen in Anspruch genommen werden können. Zur Sicherung des Gläubigers erhält dieser neben dem eigentlichen Steuerschuldner eine oder mehrere Personen als Haftungsschuldner, die notfalls in Anspruch genommen werden können. Im Steuerrecht sind diese Stärkung und Sicherung insofern von besonderer Bedeutung, als sich der Steuergläubiger seine Schuldner nicht aussuchen kann. Durch die regelmäßig zeitlich nach hinten versetzte Durchführung des Besteuerungsverfahrens wird faktisch die Steuerschuld in gewissem Maß kreditiert, ohne dass die Bonität und die Zuverlässigkeit des einzelnen Steuerschuldners in jedem Fall gegeben sind. Hier bietet das Rechtsinstitut der Haftung ein gewisses Korrektiv, das allerdings in der Praxis der Verwaltung keineswegs voll genutzt wird.

 

Rz. 4

Um den Zweck der Haftung auch sicher zu erreichen, sind für manche Schuldbereiche die Haftungsvorschriften so angeordnet, dass sie sich überschneiden und keine freien Felder zwischen ihnen verbleiben. Das gilt z. B. für die Haftung von Einzelrechtsnachfolgern, bei denen eine Haftung nach § 75 AO neben derjenigen nach § 25 HGB in Betracht kommt. Doch kann durch den maßgeblichen Geschehensablauf die Haftung nebeneinander nach §§ 34, 69 und § 71 AO begründet sein.[15] Es handelt sich dabei stets um eine Haftung, die im Überschneidungsbereich aus mehreren Vorschriften abgeleitet werden kann. Es ist nicht immer eindeutig zu erkennen, ob ein Überschneidungsbereich vorhanden ist. Da die Rechtsfolgen der einzelnen Haftungsvorschriften sehr unterschiedlich sein können, ist eine sehr genaue Prüfung der Haftungsvorschriften und -fälle erforderlich.[16] Allerdings ist ein Austausch der Haftungsnormen im Einspruchsverfahren über den Haftungsbescheid möglich .[17] Entscheidend ist – auch für die Frage der Festsetzungsfrist – nicht der dem Haftungsbescheid zugrunde gelegte, durch die angewendete Haftungsnorm bestimmte Sachverhalt, sondern der zur Begründung der Haftungsinanspruchnahme maßgebende Geschehensablauf.

 

Rz. 4a

Eine Rangordnung der nebeneinander anwen...

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