§ 906 BGB betrifft Einwirkungen aus der Nachbarschaft durch von außen kommende aktive Einflüsse, sog. Imponderabilien. Die Einwirkungen aus der Nachbarschaft müssen dabei von einem anderen Grundstück kommen. Dies ist nicht der Fall, wenn die Einwirkungen von einer Mietwohnung in eine andere oder im Fall von Wohnungseigentum vom Gemeinschaftseigentum auf ein Sondereigentum "zugeführt" werden.[1]

 
Hinweis

Einwirkungen aus der Nachbarschaft

Im Gesetz sind Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusche und Erschütterungen aufgeführt. Diese Aufzählung ist aber nicht abschließend zu verstehen, weil § 906 BGB auch "ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen" nennt. Diese sind mit den ausdrücklich genannten Beispielen dann vergleichbar, wenn sie "unwägbar" sowie "sinnlich wahrnehmbar" sind und auf natürlichem Weg etwa über die Luft (Geräusche, Gerüche) oder den Boden (Erschütterungen) zugeleitet werden.

Wegen dieser vom Gesetz verlangten Eigenschaften fallen nicht unter die Einwirkungen im Sinn von § 906 BGB die sog. "Grobimmissionen" wie Steinbrocken, die von einer Sprengung herrühren, oder Fußbälle, die von einem angrenzenden Spielfeld auf ein Nachbargrundstück geschlagen werden. Derartige Grobimmissionen müssen nicht geduldet werden.

Nur positive, keine negativen Einwirkungen

Weil das Gesetz verlangt, dass die Einwirkungen aus der Nachbarschaft "zugeführt" werden müssen, ist § 906 BGB nur auf positive, nicht dagegen auf sog. negative Einwirkungen anwendbar, wie z. B. den Entzug von Licht oder das Verbauen der Aussicht. Derartige negative Einwirkungen können daher nicht abgewehrt werden.

Der Bundesgerichtshof[2] hat diese Rechtsauffassung unter Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte des BGB damit begründet, dass ein beiderseitig unbeschränktes Recht, mit dem Grundstück nach Belieben zu verfahren (§ 903 BGB, 1. Alt.) ebenso, wie ein uneingeschränktes Recht, den jeweils anderen von jeder Einwirkung auszuschließen (§ 903 BGB, 2. Alt.), eine sinnvolle Nutzung beider Grundstücke unmöglich machen würde. Der notwendige Interessenausgleich zwischen den Grundstücksnachbarn werde deshalb erst durch die nachbarrechtlichen Bestimmungen, insbesondere durch § 906 BGB geschaffen. Nach dieser Vorschrift können aber nur positiv die Grundstücksgrenze überschreitende und im Allgemeinen sinnlich wahrnehmbare Einwirkungen abgewehrt werden, nicht dagegen Zustände oder Handlungen auf dem Nachbargrundstück, die natürliche Vorteile wie Licht oder Sonnenschein vom eigenen Grundstück abhalten.

Ergänzend weist der Bundesgerichtshof noch darauf hin, dass das BGB hinsichtlich der sog. negativen Einwirkungen keine Lücke enthält, sondern es insoweit bewusst bei der Freiheit des Grundeigentümers belässt, seine Sache im Rahmen der Gesetze nach Belieben zu benutzen, so lange er die Grenzen zum Nachbargrundstück nicht durch die Zuführung von sog. Imponderabilien überschreitet. Mit diesem Ansatz verneint der BGH grundsätzlich auch eine Anwendung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses[3] in Fällen sog. negativer Einwirkungen.

Keine moralischen, ästhetischen oder optischen Einwirkungen

Mit der gleichen Argumentation verneint die Rechtsprechung auch die Anwendbarkeit des § 906 BGB auf die sog. moralischen, ästhetischen oder optischen Einwirkungen, wie etwa den Anblick eines barbusigen Sonnenbads der Nachbarin, eines ungepflegten Nachbargrundstücks oder eines auffälligen Fassadenanstrichs. Derartige optische Beeinträchtigungen sind grundsätzlich nicht abwehrbar.[4]

 
Hinweis

Müllplatz auf Nachbargrundstück

Allerdings sollen nach Meinung des BGH in besonders krassen Fällen Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nicht ausgeschlossen sein.[5]

Gestützt auf diese Rechtsmeinung hat das Amtsgericht Münster einen Beseitigungsanspruch des Nachbarn aus den § 1004 Abs. 1 BGB, § 906 BGB in einem Fall anerkannt, in dem ein Grundstückseigentümer sozusagen provokativ unmittelbar an seiner Grundstücksgrenze eine blaue Regentonne, einen weißen und einen schwarzen Eimer, zerbrochene Gehwegplatten, Ziegelsteine und Betonsteine so abgelagert hatte, dass sie verdeckt für ihn nur von der Nachbarseite aus zu sehen waren.[6]

[1] Grüneberg/Herrler, BGB, 81. Aufl. 2022, § 906 Rn. 4.
[3] Zum nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis vgl. Wegner, Nachbarrecht: Rechtsgrundlagen, Kap. 2.3.
[4] Vgl. BGH, Urteil v. 7.3.1969, V ZR 169/65, NJW 1969, 1208; BGH, Urteil v. 15.5.1970, V ZR 20/68, NJW 1970, 1541; BGH, Urteil v. 15.11.1974, V ZR 83/73, NJW 1975, 170; BGH, Urteil v. 12.7.1985, V ZR 172/84, NJW 1985, 2823.

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