Einen Baumschutz um jeden Preis gibt es mit Blick auf die §§ 65 bis 68 BNatSchG nicht. Vielmehr müssen Baumschutzsatzungen und Baumschutzverordnungen Ausnahme- und Befreiungsvorschriften enthalten, auf deren Grundlage im Einzelfall auf Antrag geprüft wird, ob es für die Beseitigung oder Beschneidung von geschützten Bäumen rechtlich anerkennenswerte Gründe gibt, die für eine Genehmigung der Maßnahme sprechen.

Die Beweislast für das Vorliegen von Gründen, die für eine Ausnahme oder Befreiung sprechen, liegt nach Meinung der Gerichte beim Antragsteller.[1]

 
Praxis-Tipp

Baumgutachten

Nach dieser Rechtsprechung kann es unter Umständen sogar notwendig sein, die für eine Ausnahme oder Befreiung sprechenden Gründe mithilfe eines Baumgutachtens zu untermauern.

Die in Betracht kommenden Ausnahmetatbestände sind in den Baumschutzsatzungen oder Baumschutzverordnungen im Allgemeinen ausdrücklich geregelt und stehen somit an erster Stelle für einen Dispens. Das betrifft etwa die Ausnahme für den Fall, dass von einem geschützten Baum Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert ausgehen und keine anderen zumutbaren Möglichkeiten der Gefahrenabwehr bestehen.

Die Befreiungstatbestände in den Baumschutzsatzungen oder Baumschutzverordnungen sind demgegenüber mehr generalklauselartig formuliert. Sie erfassen ausschließlich atypische Fallgestaltungen und kommen deshalb regelmäßig nicht in Betracht bei typischerweise von Bäumen ausgehenden Beeinträchtigungen etwa durch Schattenwurf, Laubfall, Samenflug oder Wurzelwachstum, soweit nicht der Grad einer Gefahr erreicht wird.

§ 67 Abs. 1 BNatSchG verlangt eine Präzisierung dahingehend, dass Befreiungen von den Verboten einer Baumschutzsatzung oder Baumschutzverordnung dann möglich sein müssen, wenn

  • dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist, oder
  • die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung des Grundstückseigentümers führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist.

Die Ausnahme- und Befreiungstatbestände sind sogenannte "Kann-Vorschriften". Das bedeutet, dass die Gewährung einer Ausnahme oder Befreiung im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltungsbehörde steht. Diese wird deshalb vor Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für eine Baumfällung zunächst prüfen, ob nicht als milderes zumutbares Mittel anstelle einer Baumfällung ein Baumrückschnitt in Betracht zu ziehen ist.[2]

Der kostenaufwendige Rückschnitt eines geschützten Baums ist nach Gerichtsmeinung aber dann nicht mehr zumutbar, wenn der Baum aufgrund seines Alters oder wegen außergewöhnlicher Ereignisse die Endphase seiner biologischen Existenz erreicht hat und der Rückschnitt zu einer deutlichen optischen Verstümmelung des Baums führen würde. Krampfhafte Bemühungen, diese Existenz zu verlängern, mögen zwar mit heutigen Techniken möglich sein, widersprechen aber nach Meinung der Richter dem natürlichen Ablauf der Dinge, dem sich auch eine Baumschutzsatzung nicht entgegenstellen kann.[3]

[1] Vgl. OVG Saarlouis, Urteil v. 29.9.1998, 2 R 2/98, NuR 1999 S. 531; OVG Münster, Beschluss v. 13.2.2003, 8 A 5373/99, NuR 2003 S. 575; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 30.1.2008, 8 A 90/08, DÖV 2008, 565; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 4.1.2011, 8 A 2003/09.
[2] Vgl. OVG Berlin, Urteil v. 17.3.1995, 2 B 34.92, NuR 1996 S. 414; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 30.1.2008, 8 A 90/08; VGH Bayern, Beschluss v. 23.10.2018, 2 ZB 16.936; OVG Niedersachsen, Beschluss v. 23.10.2019, 4 LA 71/19.
[3] So OVG Münster, Urteil v. 8.10.1993, 7 A 202/92, NuR 1994 S. 253.

5.1 Beispiele aus der Praxis

Nachfolgend werden die in der Praxis am häufigsten für Konflikte sorgenden Fallgestaltungen und ihre gerichtliche Beurteilung dargestellt.

5.1.1 Baubeschränkungen

Ein bebaubares und baumbestandenes Grundstück kann wegen des aus den §§ 30 und 34 BauGB folgenden Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Baugenehmigung und der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG durch eine Baumschutzsatzung oder Baumschutzverordnung nicht zum unbebaubaren Grundstück gemacht werden, es sei denn, es wird eine Entschädigung geleistet. Die Baumschutzsatzungen oder Baumschutzverordnungen sehen deshalb Ausnahmen oder Befreiungen für den Fall vor, dass eine nach den baurechtlichen Vorschriften zulässige Nutzung sonst nicht oder nur unter wesentlichen Beschränkungen verwirklicht werden kann.[1]

Wegen der Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG kann aber Einfluss auf den Umfang der zu bebauenden Fläche oder die Lage des Baukörpers im Hinblick auf schützenswerten Baumbestand genommen werden.[2]

Wann eine Planänderung zumutbar ist, lässt sich nur im Einzelfall beantworten und bemisst sich etwa nach der Größe des Baugrundstücks und daraus folgender Planungsalternativen. Jedenfalls ist das Fällen geschützter Bäume ohne Erlaubnis nach Gerichtsmeinung nicht deshalb gerechtfertigt, weil diese den Bau eines Wohngebäudes mit Tiefgara...

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