Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücktritt von einer Pauschalreise wegen der "aufgrund der Verbreitung des Covid-19-Virus zu erwartenden Unannehmlichkeiten"

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die bei geplantem Reiseantritt am 13. März 2020 im Rahmen einer gebuchten "Großen Japan-Rundreise" in Japan aufgrund der Verbreitung des Covid-19-Virus zu erwartenden Unannehmlichkeiten stellten im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB "unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände" dar, welche "die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen". Im Falle eines Rücktritts des Reisenden kann der Reiseveranstalter deshalb von diesem keine Entschädigung im Sinne des § 651h Abs. 1 BGB verlangen, sondern verliert den Anspruch auf den Reisepreis.

2. Eine verpflichtende Beschränkung der Rückerstattung des Reisepreises auf die Ausstellung eines Gutscheins ist - ungeachtet der in Art. 240 § 6 EGBGB enthaltenen Regelung - weder in § 651h BGB noch in der mit dem deutschen Recht umgesetzten EU-Pauschalreiserichtlinie 2015/2302 vom 25. November 2015 (Amtsblatt EU L 326 S.1) vorgesehen.

3. Ein Verstoß dieser Regelungen gegen insbesondere EU-Primärrecht (ins. Grundrechte-Charta) wegen der für Reiseunternehmen gravierenden wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie liegt jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitpunkt fern, weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht Pandemie-Bedingungen herrschten.

 

Normenkette

BGB § 651h Abs. 1, 3; EGBGB Art. 240 § 6; EUGrdRCh; EURL 2015/2302

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 5. November 2020, Az. 12 O 115/20, wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Kiel ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Rückzahlung des Entgelts für eine Pauschalreise nach Japan, die der Kläger bei der Beklagte als Reiseveranstalterin gebucht hatte.

Am 23. Dezember 2019 schloss der Kläger für sich und seinen Sohn unter Vermittlung durch ein Reisebüro mit der Beklagten einen Pauschalreisevertrag über eine "Große Japan-Rundreise" vom 14. März 2020 bis zum 29. März 2020. Die von der Beklagten zu erbringenden Reiseleistungen beinhalteten unter anderem Flüge nach Japan und zurück, Unterbringung, zum Teil Verpflegung sowie zahlreiche deutschsprachig geführte Ausflüge. Der Reisepreis betrug 9.901,00 EUR. Der Kläger entrichtete diesen vollständig.

Seit Mitte Januar 2020 erfolgte eine intensive Berichterstattung über das sogenannte "neuartige Coronavirus". Dieses Virus führt zu einer Erkrankung namens Covid-19. Unter anderem kann diese Erkrankung zu schweren Atemwegserkrankungen bis hin zum Tode führen. Ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen sind besonders gefährdet.

Seit dem 16. Januar 2020 war das Coronavirus in Japan nachgewiesen. Am 31. Januar 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation die gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite wegen des Auftretens der genannten Erkrankung. Am 27. Februar 2020 verkündete der japanische Premierminister die Schließung aller Schulen landesweit bis zum April 2020.

Der Flug des Klägers wurde am 11. März 2020 um 12:30 Uhr als "annulliert" gekennzeichnet. Am 12. März 2020 um 10:20 Uhr informierte die Beklagte deshalb per E-Mail darüber, dass es zu einer Änderung der Flüge gekommen sei. Statt mit Lufthansa um 12:20 Uhr per Direktflug von München nach Osaka zu fliegen, war nun vorgesehen, mit Swiss International Airlines um 9:20 Uhr ab München über Zürich nach Osaka zu fliegen.

Dieser E-Mail war ein Schreiben beigefügt, in dem es auszugsweise heißt:

"Rechnen Sie bitte damit, dass an Flughäfen bei der Einreise zur Zeit Gesundheitsprüfungen mit Temperaturmessungen vorgenommen werden. Sofern bei Ihnen keine Erkältungssymptome (wie z.B. Fieber und starker Husten) vorliegen, kann Ihre Reise mit uns wie geplant stattfinden. Sollten Sie allerdings entsprechende Symptome (wie z.B. Fieber und starker Husten) aufweisen, müssen Sie vor Ort und eventuell schon bei der Einreise mit erheblichen Einschränkungen rechnen. Ein Reiseantritt ist unter diesen Bedingungen nicht zu empfehlen." (Anlage 6 zur Klageschrift)

Am 13. März 2020 teilte der Kläger der Beklagten per E-Mail mit, er könne wegen der Vorverlegung des Fluges nicht rechtzeitig am Flughafen sein. Weiter schrieb er:

"Ich kündige deshalb den für mich und meinen Sohn ... geschlossenen Pauschalreisevertrag wegen einer wesentlichen Leistungsänderung vor Reisebeginn und fordere den für uns Beide gezahlten Reisepreis zurück. Hilfsweise mache ich mein Recht auf entschädigungslosen Rücktritt vor Reisebeginn geltend. Nach unserer Einschätzung liegen am Bestimmungsort der Reise Umstände vor, welche die Durchführung der Reise bzw. schon die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Ausweislich zahlreicher Informationsforen sind in Japan wegen der Corona-Krise viele Sehenswürdigkeiten und Gastronomiebetriebe geschlosse...

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