Entscheidungsstichwort (Thema)

Amtshaftungsanspruch wegen zu kleinem Haftraum trotz unterlassenem Rechtsmittel

 

Leitsatz (amtlich)

Der Nichtgebrauch eines Rechtsmittels i.S.d. § 839 Abs. 3 BGB ist dann nicht schuldhaft, wenn die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs so gering oder zweifelhaft erscheinen, dass dem Verletzten dessen Gebrauch nicht zuzumuten ist oder er damit nicht rechnen kann, durch die Einlegung des Rechtsmittels wesentlich schneller zum Ziel zu kommen.

 

Normenkette

GG Art. 34; BGB § 839

 

Verfahrensgang

LG Lübeck (Urteil vom 06.02.2007; Aktenzeichen 6 O 218/06)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers vom 16.2.2007 gegen das am 6.2.2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des LG Lübeck wird das angefochtene Urteil unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst.

Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 3.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.2.2007 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu ¼ und das beklagte Land zu ¾.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils für den Vollstreckungsgläubiger vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Der Kläger begehrt von dem beklagten Land eine Entschädigung wegen menschenunwürdiger Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt (im Folgenden: JVA).

Der Kläger wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, die er zum Teil in der JVA Lübeck verbüsste. Nach der Rückverlegung aus dem offenen Vollzug war der Kläger in der Zeit vom 20.1.2005 bis zum 24.3.2005 und in der Zeit vom 30.3.2005 bis zum 8.6.2005 jeweils zusammen mit einem anderen Gefangenen in einem Haftraum untergebracht, der nur knapp 7,50 qm groß war, über 21,97 cbm Rauminhalt verfügte und mit einem Etagenbett, 2 Stühlen, 2 Tischen, einem Wandregal sowie einem Schrank ausgestattet war. Die Toilette und die Waschgelegenheit waren räumlich nicht abgetrennt. Es bestand lediglich eine mobile Schamwand. Eine separate Entlüftungsmöglichkeit für den Sanitärbereich war nicht vorhanden. In der Zelle wurden auch die Mahlzeiten eingenommen. Der Kläger ist Nichtraucher. Der Mitgefangene in der Zeit vom 20.1.2005 bis zum 24.3.2005 war Raucher. Der Kläger hatte nur jeden 2. Tag von 16.00 Uhr bis 17.00 Uhr und von 17.30 Uhr bis 19.00 Uhr Aufschluss. Die übrige Zeit musste er im Haftraum verbringen.

Der Kläger hatte am 1.2.2005 die Zuweisung eines Einzelhaftraums begehrt. Diesem Antrag wurde zunächst nicht entsprochen. Es standen nicht für alle Häftlinge, die allein untergebracht werden wollten, Einzelhafträume zur Verfügung. Der Name des Klägers wurde in einer Liste notiert, in der sämtliche Häftlinge aufgeführt waren, die in einen Einzelhaftraum verlegt werden wollten (Bl. 13 d.A.).

Der Kläger war und ist der Meinung, seine Unterbringung mit einem anderen Gefangenen in dem nur knapp 7,5 qm großen Haftraum sei menschenunwürdig gewesen. Der Kläger forderte das beklagte Land mit Schreiben seines jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 3.2.2006 vergeblich auf, bis zum 21.2.2006 eine Entschädigung i.H.v. 4.000 EUR an ihn zu zahlen. Er wiederholte die Zahlungsaufforderung mit Telefax seines jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 27.2.2006.

Der Kläger hat im ersten Rechtzug beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, an ihn - den Kläger - 4.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.2.2006 zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe gem. § 839 Abs. 3 BGB keine Entschädigung zu, weil er es versäumt habe, die beanstandete Unterbringung durch den Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Das beklagte Land hat vorgetragen, der Kläger wäre auf Kosten anderer Häftlinge allein in einem Einzelhaftraum untergebracht worden, wenn er ein Rechtsmittel gegen die gemeinschaftliche Unterbringung eingelegt und das Gericht seine alleinige Unterbringung in einem Einzelhaftraum angeordnet hätte.

Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein Entschädigungsanspruch des Klägers sei gem. § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, weil der Kläger seine Rückverlegung aus dem offenen Vollzug selbst verschuldet habe.

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten (Bl. 150, 158 d.A.) Berufung trägt der Kläger ergänzend vor:

Er habe sich sofort nach seiner Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug (20.1.2005) und auch noch nach der Stellung seines Verlegungsantrags (1.2.2005) wiederholt mündlich gegenüber verschiedenen JVA-Bediensteten über die Art und Wei...

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