Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichterscheinen des Betroffenen in der Berufungsverhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof

 

Leitsatz (amtlich)

Im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof sind §§ 143 Abs. 4 S. 2 BRAO, 329 Abs. 1 S. 1 StPO dahingehend zu verstehen, dass die Berufung des Betroffenen nur verworfen werden kann, wenn er in der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung abwesend ist und nicht durch einen mit entsprechender Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten ist.

 

Tenor

Auf die Berufung des Betroffenen wird das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, dass die neben dem Verweis verhängte Geldbuße auf 1.500 Euro festgesetzt wird, die in 3 monatlichen Raten von je 500 Euro zu zahlen ist.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Betroffene.

 

Gründe

I. Gegen den Betroffenen sind durch Urteil des Anwaltsgerichts vom 27.6.2003 wegen Verletzung dort näher bezeichneter Berufspflichten die anwaltsgerichtliche Maßnahme des Verweises und die der Geldbuße i.H.v. 2.500 Euro verhängt worden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Betroffenen, die er im Schriftsatz vom 4.2.2004 und nochmals in der Berufungshauptverhandlung auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt hat.

II. In der Berufungshauptverhandlung, zu der der Betroffene persönlich nicht erschienen war, sind aufgrund der Einlassung seines Verteidigers sowie der teilweisen Verlesung des erstinstanzlichen Urteils und der vom Betroffenen vorgelegten Einkommensunterlagen folgende für den Rechtsfolgenausspruch bedeutsame Feststellungen getroffen worden:

Der Betroffene ist 1954 in Köln geboren. Seit 1984 ist er zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er ist verheiratet und hat zwei minderjährige schulpflichtige Kinder.

Im Steuerbescheid des Finanzamtes Rendsburg für 2001 vom 24.2.2003 ist das Einkommen des Betroffenen aus selbständiger Arbeit mit 8.726 DM angegeben. Die von ihm vorgelegte Gewinn- und Verlustrechnung vom 1.1.2002 bis 31.12.2002 weist einen Gewinn von 2.283,89 Euro aus. Ein betriebswirtschaftlicher Kurzbericht zum September 2003 ergibt für die Zeit von Januar bis einschließlich September 2003 ein vorläufiges Betriebsergebnis von 5.196,69 Euro. Durch Bescheid vom 5.11.2003 der Rechtsanwaltskammer Schleswig-Holstein ist der Betroffene vom Kammerbeitrag befreit worden.

Berufsrechtlich ist der Betroffene bisher wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Im Jahre 1994 erhob die Staatsanwaltschaft Kiel gegen den Betroffenen Anklage wegen Widerstands und Beleidigung. Anlass war insoweit, dass er der Aufforderung von Polizeibeamten zur Weiterfahrt, nachdem er im absoluten Halteverbot angetroffen wurde, nicht nachkommen wollte. Das AG Rendsburg stellte das Verfahren in der Sitzung vom 20.6.1994 gem. § 153 StPO ein. Daraufhin wurde das wegen desselben Sachverhalts eingeleitete anwaltsgerichtliche Ermittlungsverfahren EV 16/94 ebenfalls eingestellt gem. § 113 Abs. 2 BRAO, weil das Verhalten des Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalls nicht in besonderem Maße geeignet war, Achtung und Vertrauen der Rechtsuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

2. Am 6.8.1997 erteilte der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Schleswig-Holstein dem Betroffenen eine Rüge, weil er sein Aufforderungsschreiben an die tatsächliche oder vermeintliche Schuldnerin seiner Mandantin mit dem Hinweis verband, dass seiner Auftraggeberin ein "Übernahmeangebot" eines Inkassounternehmens aus den GUS-Staaten vorliege. Diesen Hinweis muss ein Erklärungsempfänger bei objektiver Würdigung als ein im Ergebnis unzulässiges Mittel ansehen, mit dem die Schuldnerin unter unzulässigem Druck gesetzt werden sollte.

3. Das AG Rendsburg verurteilte den Betroffenen am 25.9.2000 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 100 DM, weil er am 30.4.1999, nachdem er eine wegen eines schweren Verkehrsunfalls erfolgte Straßenabsperrung durchbrochen hatte, dem Straßenwärter, der ihn darauf aufmerksam machen und an der Weiterfahrt hindern wollte, einen Vogel gezeigt hatte. Die Rechtsmittel des Betroffenen wurden vom LG und OLG verworfen.

4. Die 1. Kammer des Schleswig-Holsteinischen Anwaltsgerichts verhängte gegen ihn durch Urt. v. 28.2.2002 im Hinblick auf den disziplinären Überhang der unter 3. aufgeführten Straftat die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen eines Verweises und einer Geldbuße von 500 Euro - EV 86/00 = 1 EG 24/01 -.

Der Betroffene ist der Ansicht, dass angesichts seiner derzeitigen Einkommensverhältnisse, die er durch Anlagen zum Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.12.2003 und durch die im Hauptverhandlungstermin überreichten Unterlagen belegt hat, die verhängte Geldbuße zu hoch sei.

III. Die Feststellungen in diesem Verfahren konnten getroffen werden, auch ohne dass der Betroffene persönlich anwesend war. Denn er war in verfahrensrechtlich zulässiger Weise durch einen mit entsprechender Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten. Eine Verwerfung der Be...

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