Leitsatz (amtlich)

Eine deutlich über der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 km/h liegende Ausgangsgeschwindigkeit ist bei der Haftungsabwägung als betriebsgefahrerhöhend zu berücksichtigen. Bei einer Überschreitung um 30 km/h tritt die Betriebsgefahr im Regelfall nicht mehr zurück.

Eine Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um ca. 70 km/h kann eine Mithaftung von 25% rechtfertigen.

 

Tenor

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 2.397,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.09.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 334,75 EUR zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.09.2020.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen die Klägerin 78 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 22 %. Die Kosten der Berufung fallen der Klägerin zu 86 % und den Beklagten als Gesamtschuldner zu 14 % zur Last.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, welcher sich am 15. Februar 2020 im Kreis Y auf der Autobahn X in Richtung Norden ereignete.

Die Klägerin befuhr gegen 14:30 Uhr mit ihrem PKW D. die Autobahn auf Höhe des Kilometers 32,4, wo für etwa einen Kilometer gerade Sicht herrscht. Die Witterungsbedingungen an diesem Tag waren trocken und sonnig. Die Fahrbahn ist zweispurig, am rechten Fahrbahnrand verläuft zudem ein Seitenstreifen. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung besteht an dieser Stelle nicht. Die Klägerin fuhr mit einer Geschwindigkeit von ca. 120 - 140 km/h.

Sie kollidierte auf der linken Fahrbahn mit dem PKW des Beklagten zu 1), einem A. (bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert), der eine Geschwindigkeit von ca. 200 km/h fuhr. Aufgrund des Anstoßes entstanden Schäden am Wagen der Klägerin hinten links und am Beklagtenfahrzeug vorne rechts. In Folge des Anstoßes wurde das Fahrzeug der Klägerin an die rechte Leitplanke geschleudert, drehte sich hier auf das Dach und rutschte dann über die Fahrbahn zurück auf die linke Spur, wo es erneut gegen das Beklagtenfahrzeug prallte, welches infolgedessen mit seiner linken Seite gegen die den Mittelstreifen begrenzende Betonmauer gedrückt wurde. Sodann drehten sich beide Fahrzeuge jeweils um die eigene Achse und kamen am rechten Fahrbahnrand schließlich zum Stehen.

Die Klägerin hat neben Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten folgende Schadenspositionen geltend gemacht: Wiederbeschaffungswert für das Fahrzeug in Höhe von 9.580,00 EUR, Abschleppkosten in Höhe von 511,70 EUR, eine allgemeine Kostenpauschale in Höhe von 20,00 EUR, An- und Abmeldekostenpauschale in Höhe von 100,00 EUR, bereits im Voraus gezahlten Buchungskosten für die ausgefallene Urlaubsreise in Höhe von 545,00 EUR.

Sie hat behauptet, sie sei von der rechten auf die linke Fahrspur gewechselt, um Fahrzeuge auf der rechten Spur zu überholen. Trotz Blicks in den Rück- und Seitenspiegel sowie über die Schulter habe sie das Beklagtenfahrzeug nicht gesehen, die Spur sei für sie frei gewesen. Vor dem Unfall sei sie bereits etwa Sekunden auf dem linken Fahrstreifen gefahren. Sie vertritt die Auffassung, die Beklagten müssten die Haftung für den Verkehrsunfall zu 100 % tragen.

Sie hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 10.756,70,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 958,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise die Klägerin von den Anwaltsgebühren des Rechtsanwaltes B1 in der vorbezeichneten Höhe freizustellen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, die Klägerin sei unvermittelt vor dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) auf die linke Spur gewechselt. Wegen des geringen Abstandes habe dieser trotz einer Vollbremsung den Unfall nicht mehr vermeiden können.

Das Landgericht hat nach Anhörung der Parteien und Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung, Beiziehung der Unfallakte, Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens) der Klage auf der Basis einer Quote von 10 % stattgegeben. Der Klägerin habe gegen § 7 Abs. 5 Satz 1 StVO verstoßen, indem sie in verkehrsgefährdender Weise die Spur gewechselt habe. Aber die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs trete hier wegen der deutlichen Überschreitung der Richtgeschwindigkeit nicht zurück. Es seien auch beim Haftungsumfang Abzüge geboten. Vom Wiederbeschaffungswert müsse sich die Klägerin den Restwert von 620 EUR anrechnen lassen. Auch die Kosten der ausgefallenen Urlaubsreise seien nicht ersatzfähig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird auf die ange...

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