Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweislast bei möglicherweise amtspflichtwidrigem Schusswaffengebrauch durch Polizisten

 

Leitsatz (amtlich)

Wird jemand durch einen von einem Polizeibeamten abgegebenen Schuss verletzt, so muss der Verletzte beweisen, dass die Polizei durch die Abgabe des Schusses amtspflichtwidrig das Übermaßverbot verletzt hat, wenn die Polizei zur Ausübung unmittelbaren Zwangs (Einwirkung auf Personen mittels körperlicher Gewalt, Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt oder Waffen) in der Situation berechtigt war.

 

Normenkette

BGB §§ 227, 839; GG Art. 34; VwG SH § 258

 

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das am 12.06.2020 verkündete Schlussurteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Kiel abgeändert und die gegen das beklagte Land gerichtete Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf (37.500,00 EUR + 75 % × 5.000,00 EUR =) 41.250,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger, der im März 2013 in seiner Wohnung in X. durch den Schuss einer Polizistin verletzt wurde, nimmt das beklagte Land aus Amtshaftung auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger hatte damals unter dem Einfluss von Medikamenten und Betäubungsmitteln aus dem Fenster seiner Wohnung heraus Nachbarn und Passanten beschimpft. Diese riefen die Polizei, und zwar mit dem Hinweis, dass der Kläger eine Waffe habe. Auf dem Hausflur kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den herbeigeeilten Polizisten einerseits und dem Kläger andererseits, der die Polizisten für Einbrecher hielt. Schließlich hielten zwei der Polizisten - die Zeugen B und C - den Kläger auf dem Hausflur fest, während zwei andere - die Zeugin W und der Zeuge K - die Wohnung des Klägers betraten. Dort entdeckten sie im Wohnzimmer mehrere Waffen, u.a. eine Armbrust mit passender Munition und eine Pistole. Kurz danach riss sich der Kläger im Hausflur los, lief in seine Küche und ergriff dort ein Messer. Der Zeuge B rief aus dem Hausflur in die Wohnung hinein: "Er hat eine Waffe, weg, weg, weg!". Dem Zeugen K gelang es noch, aus der Wohnung zu fliehen, bevor der Kläger die Wohnungstür von innen verriegelte. Die Zeugin W dagegen floh in das zum Flur hin offen stehende Badezimmer, stellte sich hinter die Milchglasscheibe der Dusche und zog ihre Dienstwaffe. Der Kläger rief, er werde alle umbringen, und lief den Wohnungsflur entlang in Richtung Wohnzimmer. Bevor er dort ankam, schoss die Zeugin W von ihrer Position in der Dusche auf ihn, wobei streitig ist, wo genau sich der Kläger in diesem Zeitpunkt befand. Jedenfalls traf ihn der Schuss an seiner linken Bauchseite und trat an der rechten Bauchseite in etwas geringerer Höhe wieder aus. Trotz seiner lebensbedrohlichen Verletzung lief der Kläger noch ins Wohnzimmer; dort wurde er von den Polizisten überwältigt, die unterdessen die Wohnungstür eingetreten hatten. Der Kläger musste sich wegen der Schussverletzung vier Bauchoperationen unterziehen, die mit Komplikationen einhergingen, und war sechs Wochen lang in stationärer Behandlung.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Schlussurteil Bezug genommen.

Der Kläger hat behauptet, er sei, als ihn der Schuss getroffen habe, gerade auf dem Wohnungsflur an der geöffneten, linksseitig gelegenen Badezimmertür vorbeigelaufen, um sein Pfefferspray aus dem Wohnzimmer zu holen. Er hat gemeint, in dieser Situation sei der Schuss nicht als Notwehr der Zeugin W gerechtfertigt und die vom beklagten Land behauptete, abweichende Vorstellung der Zeugin jedenfalls vermeidbar gewesen. Mit seiner Klage hat der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt und außerdem die Feststellung beantragt, dass ihm auch seine materiellen Schäden zu ersetzen seien. Seine Klage hat der Kläger zunächst nicht nur gegen das beklagte Land, sondern auch gegen die Zeugin W gerichtet; insoweit ist die Klage aber mit rechtskräftigem Teilurteil vom 01.09.2017 abgewiesen worden.

Das beklagte Land hat sich gegen die Klage gewandt, und zwar u.a. mit der Behauptung, der Kläger sei auf seinem Weg von der Wohnungstür in Richtung Wohnzimmer vom Flur aus nach links in das Badezimmer abgebogen und dort mit gezücktem Messer auf die Zeugin W zugelaufen, bevor diese geschossen habe. Das beklagte Land hat gemeint, der Schuss sei deshalb als Notwehr gerechtfertigt gewesen; jedenfalls aber habe sich die Zeugin W eine Notwehrlage vorgestellt und diese Vorstellung nicht vermeiden können.

Das Landgericht hat den Kläger persönlich angehört, die Akte betreffend das gegen den Kläger gerichtete Ermittlungsverfahren beigezogen, die Polizistin W und die Polizisten K, C und B als Zeugen verno...

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