Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährungshemmende Wirkung durch die am 6. November 2017 erhobene Inkasso-Sammelklage tausender, vermeintlich vom sog. Diesel-Abgasskandal betroffener Anspruchsinhaber

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die treuhänderische Forderungsabtretung an einen prozessfinanzierten Inkassodienstleister, der von vornherein die gerichtliche Durchsetzung tausender, heterogener Forderungen vermeintlich vom sog. Diesel-Abgasskandal betroffener Fahrzeugeigentümer in Form einer Sammelklage bezweckt, verstößt gegen §§ 3,4 RDG und ist deshalb nichtig.

2. Die Anmeldung zur Eintragung in das Klageregister einer Musterfeststellungsklage ist nur wirksam, wenn i.S.v. § 608 Abs. 2 Nr. 4 ZPO Gegenstand und Grund des Anspruchs angegeben werden. Die Anforderungen entsprechen denen einer Klageschrift. Dazu gehört in den sog. Diesel-Fällen die Darlegung der Einzelheiten zum Kauf, zum Fahrzeug, zu dem eingebauten Motor und die Angabe der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN), um eine eindeutige Zuordnung zu ermöglichen.

3. Das Aufspielen eines vom Kraftfahrbundesamt frei gegebenen Softwareupdates beinhaltet keine erneute sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB.

 

Normenkette

RDG §§ 3, 4 Abs. 1, § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; ZPO §§ 253, 608 Abs. 2 Nr. 4

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 24.10.2022; Aktenzeichen VIa ZR 162/22)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 02.07.2021, Az. 3 O 303/20, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Audi A5, in dem der von der Beklagten entwickelte und hergestellte Dieselmotor mit der Typenbezeichnung EA 189, Euro 5 verbaut ist.

Mit Vertrag vom 29.04.2013 kaufte der Kläger bei der M. (= Audi Vertragshändler) das streitgegenständliche Fahrzeug Audi A5 Sportback 2.0 TDI (150 PS), phantomschwarz Perleffekt zum Preis von brutto 35.653,34 EUR (in dem Preis waren Kosten für ein sog. Selbstabholerpaket i.H.v. netto 462,18 EUR und für die Zulassungsbescheinigung Teil II i.H.v. netto 16,81 EUR enthalten). Es handelte sich um einen Neuwagenkauf.

In den Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 war eine Software zur Steuerung des Motors installiert, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Testlauf unter Laborbedingungen oder im normalen Straßenverkehr befindet. Während im Testlauf die Motorsteuerung dergestalt erfolgt, dass mittels einer Abgasrückführung die Abgase zusätzlich gereinigt werden und die Emissionsgrenzwerte entsprechend der genannten Verordnung eingehalten werden (Abgasrückführungsmodus 1), ist im Betriebsmodus des normalen Straßenverkehrs der Abgasrückführungsmodus 0 aktiv, in dem keine oder eine deutlich geringere Abgasrückführung stattfindet.

Im Februar 2016 informierte die Audi AG (Anlage K18) den Kläger über einen Rückruf. Die in dem Fahrzeug eingebaute Software bewirke, dass die Stickoxidwerte (NOx) im Vergleich zwischen Prüfstandlauf (NEFZ) und realem Fahrbetrieb verschlechtert würden. Man arbeite mit Hochdruck an der Organisation des Rückrufs durch autorisierte Werkstätten. Mit weiterem Schreiben aus Juli 2016 (Anlage K18) informierte die Audi AG den Kläger darüber, dass nunmehr die benötigte Software zur Verfügung stünde (Rückruf 23Q7). Die Audi AG wies den Kläger in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bei Nichtteilnahme an der Rückrufaktion eine Betriebsuntersagung nach § 5 FZV drohe. Das entsprechende Software-Update wurde am 15.09.2016 aufgespielt.

Der Kläger, der eigentlich von der Technik seines PKW Audi "begeistert" war, informierte sich im Internet bei der Stiftung Warentest über seine Rechte und gelangte von dort aus auf die entsprechende Seite der F. GmbH. Die F. GmbH ist eine für den außergerichtlichen Forderungseinzug im Rechtsdienstleistungsregister eingetragene Inkassodienstleisterin (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG). Sie ist einem externen gewerblichen Prozessfinanzierer verpflichtet, von dem sie finanziell abhängig ist. Die B., ein weltweit tätiges Finanz- und Dienstleistungsunternehmen, hatte der F. GmbH nämlich 30 Mio. EUR für die Prozessführung zur Verfügung gestellt. Letztere ließ sich von vermeintlichen Anspruchsinhabern, insbesondere Eigentümern von Fahrzeugen mit einem VW-Dieselmotor der Baureihe EA 189, angebliche Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte treuhänderisch abtreten (insgesamt rd. 45.000 Einzelfälle). Die F. GmbH organisiert ihr Geschäftsmodell unter der Marke MR. Sie verspricht primär die gerichtliche Durchsetzung der angeblichen Ansprüche gegen Zahlung einer Erfolgsprovision von 35 % (inklusiv...

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