Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung: Anforderungen an ein Befangenheitsgesuch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Befangenheitsgesuch nach § 42 II ZPO kann auch auf einen "Gesamttatbestand" als Verhalten des abgelehnten Richters im laufenden Verfahren gestützt werden.

2. In diesem Zusammenhang kann auch auf an sich nach §§ 43, 44 IV ZPO verwirkte Ablehnungsgründe zurückgegegriffen werden, sofern der letzte Teilakt noch zulässig vorgebracht werden kann. Gründe, die bereits für sich ein Ablehnungsgesuch tragen könnten bleiben verwirkt.

3. Sämtliche Gründe, die in ihrer Gesamtheit geeignet sind, ein berechtigtes Begangenheitsgesuch zu tragen, sind glaubhaft zu machen.

 

Verfahrensgang

LG Kiel (Beschluss vom 18.08.2004; Aktenzeichen 4 O 107/04)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist gem. § 46 Abs. 2 ZPO statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt worden, § 569 ZPO. Zwar ist das in § 572 Abs. 1 ZPO geregelte Abhilfeverfahren nicht durchgeführt worden. Dadurch ist der Senat indes nicht gehindert, selbst in der Sache zu entscheiden (Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 542 ZPO Rz. 4).

Das LG hat das Befangenheitsgesuch gegen die erkennende Einzelrichterin im Ergebnis zu Recht als unbegründet zurückgewiesen. Zwar hat die Beklagte schlüssig ausreichende Gründe behauptet, die geeignet wären, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten Richterin zu rechtfertigen. Indes sind die behaupteten Tatsachen, die erst in ihrer Gesamtheit geeignet wären, diesen Schluss zu rechtfertigen, in wesentlichen Punkten nicht glaubhaft gemacht worden.

1. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch ggü., geeignet, ein Ablehnungsgesuch zu rechtfertigen. Dagegen scheiden rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden aus (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 42 ZPO Rz. 9).

Als Ablehnungsgründe kommen alle Fälle unsachlichen und auf Voreingenommenheit oder Willkür hindeutenden Verhaltens des Richters im laufenden Verfahren infrage (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 42 ZPO Rz. 20).

Wird ein Ablehnungsgesuch auf einen "Gesamttatbestand" des Verhaltens des Richters in dem laufenden Verfahren gestützt, kann entgegen der Ansicht des LG trotz §§ 43, 44 Abs. 4 ZPO auch auf an sich verwirkte Ablehnungsgründe zurückgegriffen werden, sofern der letzte "Teilakt" in zulässiger Weise vorgebracht werden kann (BPatG v. 7.1.1985 - 4 W (pat) 19/84, GRUR 1985, 433 [434]; LG Düsseldorf v. 23.4.1985 - 25 T 106/85, ZIP 1985, 631 [632]; OLG Köln v. 2.4.2001 - 16 Wx 46/01, OLGReport Köln 2001, 260). Allerdings darf dies nicht zu einer Umgehung des Verwirkungstatbestandes des § 43 ZPO führen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 42 ZPO Rz. 20, § 43 ZPO Rz. 8; OLG Frankfurt v. 2.3.2001 - 3 W 2/01, OLGReport Frankfurt 2001, 169 [170]).

Daraus folgt nach Auffassung des Senats, dass zum einen Ablehnungsgründe nach § 43 ZPO verwirkt sind, die in einer früheren Verhandlung hätten vorgebracht werden können und für sich allein bereits ein begründetes Ablehnungsgesuch getragen hätten. Auszuscheiden haben auch solche Gründe, die ggü. dem geltend gemachten letzten "Teilakt" einen deutlich gewichtigeren Anhaltspunkt für Voreingenommenheit zu bieten geeignet sind als das zuletzt gerügte Verhalten. Bei gleichwertigen Verhaltensweisen oder bei einem Verhalten, das als solches noch nicht für § 42 Abs. 2 ZPO ausreichen würde, wohl aber in der Zusammenschau mit früheren, nicht gerügten, aber allein auch nicht ausreichenden Gründen, ist die Partei indes durch § 43 ZPO nicht gehindert, auch auf an sich nach § 43 ZPO verwirkte Gründe zur Stützung ihrer auf einen "Gesamttatbestand" gestützten Befangenheitsbesorgnis zurückzugreifen. Diese Einschränkung der Reichweite des § 43 ZPO ist geboten, weil sich berechtigtes Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters auch aus einer Mehrzahl von für sich genommen geringfügigen Indizien aufbauen kann, ohne dass ein besonders auffälliges Fehlverhalten allein für ein begründetes Befangenheitsgesuch vorläge. Auch gegen solche subtilen Formen von Benachteiligungstendenzen müssen sich Parteien wehren können.

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Befangenheitsgesuch der Beklagten schlüssig vorgebracht worden.

a) Das am Schluss des Beweisaufnahmetermins v. 5.8.2004 eingereichte Befangenheitsgesuch ist in zulässiger Weise vor Stellung des Antrages der Beklagten gem. § 370 Abs. 1 ZPO angebracht worden. Zwar ist dieses Gesuch nur darauf gestützt, die abgelehnte Richterin habe ausdrücklich moralische Zweifel an dem Verhalten der Beklagten geäußert und diese der Beklagten entgegen gehalten. Indes ist die Beklagte nicht gehindert gewesen, weitere Befangenheitsgründe im Schriftsatz vom gleichen Tage, der ersichtlich nach der mündlichen Verhandlung abgefasst worden ist,...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge