Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang von Räum- und Streupflichten auf wenig befahrenen Gemeindestraßen

 

Tatbestand

Der Antragsteller beansprucht für eine beabsichtigte Schadenersatzklage aufgrund eines Verkehrsunfalls gegen die beklagte Gemeinde und das beklagte Amt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Der Unfall ereignete sich am Mittwoch, den 4. Januar 2017 gegen 20:15 Uhr auf der Gemeindestraße "G." zwischen dem Wohnort des Antragstellers und dem Ort B. Nach eigenen Angaben befand sich der Antragsteller zum Unfallzeitpunkt als Mitarbeiter der Firma G. mit seinem eigenen Privat-Pkw bei auf einer Kontrollfahrt im Rahmen des Winterdienstes. Diese Kontrollfahrt will der Antragsteller im Auftrag der beklagten Gemeinde S. durchgeführt haben. Er war gegen 20.06 Uhr losgefahren, weil sich der Bürgermeister bis dahin immer noch nicht bei ihm gemeldet hatte. Zum Unfallzeitpunkt hatte es ununterbrochen geschneit. Die benachbarten Streudienste sollen -nach Angaben des Antragstellers - bereits seit ca. 18.30 Uhr im Einsatz gewesen sein. Der Antragsteller war wegen Glätte von der Fahrbahn abgekommen, dabei wurde sein Fahrzeug nicht unerheblich beschädigt. Der Antragsteller ist der Ansicht, die Beklagten hätten ihre Verkehrssicherungspflicht in Form des Streu- Schneeräumdienstes verletzt.

Das Landgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.

 

Entscheidungsgründe

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ff. ZPO zulässig. Die Beschwerdefrist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO (1 Monat) ist eingehalten.

Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die beabsichtigte Klage bietet im Sinne von § 114 Abs. 1 ZPO keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ergänzend wird auf folgendes hingewiesen:

1. Eine Haftung des Amtes O. kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Verkehrssicherungspflicht und die Schneeräumpflicht für Gemeindestraßen (§ 13 StrWG SH) sowie für Ortsdurchfahrten einschließlich zusammenhängend bebauter Anliegergrundstücke außerhalb geschlossener Ortslage (§ 45 StrWG SH) den Gemeinden obliegt.

2. Die Gemeinde S. wird in einem gerichtlichen Verfahren nicht durch ihren - in der Regel ehrenamtlich tätigen - Bürgermeister, sondern gemäß § 3 Abs. 1 S. 5 Amtsordnung Schleswig-Holstein durch das zuständige Amt vertreten. Gemäß § 56 Abs. 1 ZPO ist die Legitimation eines gesetzlichen Vertreters von Amts wegen zu prüfen, d. h. es ist Sache des Gerichts, durch geeignete Hinweise auf die Mängelbeseitigung hinzuwirken. Das Rubrum ist deshalb von Amts wegen entsprechend berichtigt worden.

3. ... Die Voraussetzungen für eine Verletzung der Räum- und Streupflicht in Form der hoheitlich ausgestalteten kommunalen Winterdienstpflicht gemäß §§ 10 Abs. 4, 13, 45 StrWG SH und damit für einen Amtshaftungsanspruch nach §§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG liegen nicht vor. Die Antragsgegnerin zu 2) war zum konkreten Unfallzeitpunkt - abends gegen 20:15 Uhr - nicht mehr räum- und streupflichtig.

Zwar bestehen grundsätzlich auch auf Gemeindestraßen außerhalb geschlossener Ortslage Räum- und Streupflichten. Voraussetzung einer Streu- und Räumpflicht ist eine allgemeine Glättebildung und nicht nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen (vgl. BGH vom 12.06.2012, VI ZR 138/11). Allein der Nachweis der Existenz einer Glättestelle am Unfallort genügt nicht (OLG München, Beschluss vom 19.11.2012, VersR 2013, 375-376, juris Rn. 4). Für die Verpflichtung zum Räumen und Streuen sind Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Zu den wichtigen Verkehrsflächen in dem vorgenannten Sinne zählen verkehrsreiche Durchgangsstraßen sowie vielbefahrene, innerörtliche Hauptverkehrsstraßen (BGHZ 40, 379, 380). Die Räum- und Streupflichten bestehen regelmäßig zur Gewährleistung eines sicheren Hauptberufsverkehrs und an Feiertagen nur für die Zeit des normalen Tagesverkehrs, d. h. werktags in der Regel ab 7:00 Uhr bzw. sonn- und feiertags ab 9:00 Uhr und tagsüber bis 20:00 Uhr (BGH vom 02.10.1984, VI ZR 125/83 - NJW 1985, 270-271; OLG Jena, Beschluss vom 10.11.2008, NZV 2009, 599-600, juris Rn. 4 m. w. N.). Bei extremen Wetterverhältnissen - etwa bei starkem Schneefall, Eisregen oder ständig überfrierender Nässe - besteht eine Räum-/Streupflicht sogar erst ab dem Zeitpunkt, ab dem sich das Wetter wieder beruhigt hat. Ein völlig sinnloses Handeln kann von der streupflichtigen Gemeinde nicht verlangt werden (OLG Jena, Beschluss vom 21.01.2009, 4 U 341/08, OLGR Jena, 2009, 414-415; Zimmerling in Herberg/Martinek/Rüßmann u. a., jurisPK BGB, 8. Aufl. 2017, § 839, Rn. 480 m. w. N.). Eine vorbeugende Streupflicht zur Verhinderung von Glättebildung an bestimmten Stellen in den Nachtstunden ist nur ausnahmsweise erforderlich, wenn nämlich mit einem entsprechenden Verkehr gerechnet werden muss (BGH vom 11.08.2009, VI ZR 163/08, WuM...

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