Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungspflicht. Honorarkraft. BTX-Dialogsystem. abhängige Beschäftigung. selbständige Tätigkeit. Sittenwidrigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sogenannte Honorarkräfte in einem BTX-Dialogsystem sind (abhängig) Beschäftigte.

2. Eine - wegen des sexuell-obszönen Inhalts der Kommunikation - eventuelle Sittenwidrigkeit der Beschäftigung schließt deren Versicherungs- bzw Beitragspflicht nicht aus.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 10.08.2000; Aktenzeichen B 12 KR 21/98 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. November 1996 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten sich auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene zu 1) bei der Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und Beiträge von dieser nachträglich abzuführen sind.

Die zunächst klagende A GmbH, die ihr Vermögen zum 1. Juli 1996 auf die jetzige Klägerin übertrug (Verschmelzungsvertrag vom 16. Dezember 1996), befaßte sich mit BTX-Dialogsystemen sexuellen Inhalts. Um BTX-Dialoge mit Kunden zu führen, bediente sie sich von ihr als sog. Honorarkräfte bezeichneter Personen, u.a. des Beigeladenen zu 1), mit denen sie sog. Honorarverträge abschloß. Darin wurden die "Honorarkräfte" als "freie Mitarbeiter" bezeichnet. Darüber hinaus enthielten die Verträge u.a. folgende Inhalte:

1)

Die Honorarkraft erbringt im Rahmen der nachstehenden Regelungen eine eigenverantwortlich und selbständige Dialogführung mit Dialogteilnehmern in den von der A betreuten Dialogsystemen, z.B. Atlantis.

2)

Die Honorarkraft ist hinsichtlich des Inhaltes der geführten Dialoge frei und eigenverantwortlich. Dasselbe gilt für die Termindisposition und die Bestimmung der Zeiten, in denen sie Leistungen im Dialogsystem erbringen will. Wechselseitig bestehen keine Verpflichtungen bezüglich der Stunden- oder Einsatzzeit.

A und die Honorarkraft stimmen jedoch jeweils mindestens auf eine Woche im voraus einen beiderseits verbindlichen Terminplan ab, unbeschadet der Möglichkeit zu einvernehmenden Änderungen und Ergänzungen.

3)

Der Honorarkraft ist es freigestellt, anderweitige Tätigkeiten aufzunehmen (selbständig und/oder nicht selbständig, haupt- und/oder nebenberuflich); ausgeschlossen sind lediglich Tätigkeiten im Bereich des Bildschirmtextes, die mit den derzeitigen oder künftig hinzutretenden Tätigkeitsbereichen der A in Konkurrenz stehen.

4)

Der Honorarkraft ist es desweiteren nicht gestattet, private Kontakte mit den Dialogkunden der A außerhalb der eigentlichen Bildschirmtext-Tätigkeit aufzunehmen, weder persönlich, schriftlich, fernmündlich oder in sonstiger Weise.

5)

A stellt der Honorarkraft die erforderlichen Betriebsmittel - nach Wahl von A und ihren technischen Möglichkeiten - entweder zentral oder dezentral (z.B. im Betrieb oder in der Wohnung der Honorarkraft) zur Verfügung. Die Honorarkraft ist zur jederzeit pfleglichen und schonenden Behandlung der zur Verfügung gestellten Betriebsmittel, insbesondere der voreingestellten Konfiguration des Rechners sowie der Software verpflichtet, einschließlich der Beachtung aller Eigentums-, Inhaber- und Urrechte von A und Dritter.

6)

Die Honorarkraft erhält ein Honorar pro Stunde, die sie im System eingeloggt ist. Die Höhe des Honorars wird zwischen A und Honorarkraft in gesonderter, schriftlich niederzulegender Vereinbarung leistungsabhängig ausgehandelt und festgelegt und richtet sich insbesondere nach der Höhe der Datentransferleistung.

A zahlt zusätzlich zum vereinbarten Stundensatz die gesetzliche Mehrwertsteuer in ihrer jeweiligen Höhe. Die Auszahlung des Honorars erfolgt nur gegen Vorlage einer ordnungsgemäßen Rechnung, die die Mehrwertsteuer ausweist und A in den Stand versetzt, die Vorsteuer geltend zu machen; dazu gehört die Bekanntgabe der Steuernummer der Honorarkraft, unter der sie umsatzsteuerlich geführt wird.

Die Honorarkraft ist verpflichtet, A einen Gewerbeschein vorzulegen, A ist berechtigt, die Auszahlung des Honorars bis zur Vorlage zurückzustellen.

Die Honorarkraft ist als Selbständiger zu einer ordentlichen Buchführung sowie zur Abführung der empfangenen Mehrwertsteuer verpflichtet. Sie hat für eine ordnungsgemäße Versteuerung der Einkünfte bei dem zuständigen Finanzamt zu sorgen.

7)

Die A hat keinerlei disziplinarisches Weisungsrecht gegenüber der Honorarkraft. Beide Seiten sind sich darüber einig, daß wechselseitig ein Anspruch auf Tätigkeit, in welchem Umfang auch immer, nur im Rahmen verbindlich abgestimmter Terminpläne besteht, nicht jedoch ein Anspruch auf Begründung eines vorübergehenden oder auf Dauer angelegten Arbeitsverhältnisses. ...

Beide Seiten sind berechtigt, den Honorarvertrag jederzeit und ohne Angabe von Gründen in den Fristen des § 621 Nr. 5 BGB zu kündigen, unbeschadet des Rechtes zur außerordentlichen Kündigung bei Vorlage der gesetzlichen Voraussetzungen (jederzeit, maximal zwei Wochen). Als Gründe, die zur außero...

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