Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Verschuldenskosten gegen einen Rechtsanwalt gem § 192 Abs 1 SGG. Nichterscheinen zum Verhandlungstermin. kurzfristig krankheitsbedingte Verhinderung. berechtigte Zweifel. rechtzeitige Inkenntnissetzung. Einholungsmöglichkeit eines ärztlichen Attestes am Verhandlungstag. Beschwerde gegen den Träger der Gerichtshaltung: gerichtskostenpflichtiges Verfahren nach § 197a SGG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Auferlegung von Verschuldenskosten nach § 192 Abs 1 SGG kommt auch gegenüber einem Bevollmächtigten in Betracht.

2. Erklärt ein Rechtsanwalt am Verhandlungstag, den Termin krankheitsbedingt nicht wahrnehmen zu können, ist dem grundsätzlich Glauben zu schenken, sofern nicht begründete Zweifel an der Richtigkeit der Erklärung bestehen.

3. Bestehen begründete Zweifel an einer krankheitsbedingten Verhinderung und sollen dem Rechtsanwalt für sein Ausbleiben Kosten nach § 192 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG auferlegt werden, ist der Rechtsanwalt über die Anforderung eines ärztlichen Attests so rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, dass ihm die Einholung noch am Verhandlungstag möglich ist.

4. Werden Verschuldenskosten gegenüber einem Bevollmächtigten verhängt, ist seine Beschwerde (gegen den Träger der Gerichtshaltung) ein dem Grunde nach gerichtskostenpflichtiges Verfahren nach § 197a SGG.

 

Orientierungssatz

Der Ausschlussgrund des § 172 Abs 3 Nr 4 SGG bezieht sich allein auf Entscheidungen über Verschuldenskosten nach § 192 Abs 4 SGG.

 

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 8. Februar 2016 aufgehoben.

Der Beschwerdegegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gerichtskosten sind nicht zu erheben.

Der Streitwert wird auf 150,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Verhängung von Verschuldenskosten wegen der Vertagung eines Termins.

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Er hat sich als Prozessbevollmächtigter für zwei Klägerinnen bestellt für ein Klageverfahren beim Sozialgericht Itzehoe gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des beklagten Jobcenters in Höhe von insgesamt 83,56 EUR. Mit Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 13. Oktober 2015 ist der Beschwerdeführer den Klägerinnen im Rahmen von Prozesskostenhilfe beigeordnet worden. Mit Verfügung vom 16. Oktober 2015 hat der Vorsitzende in der Sache für Montag den 16. November 2015, 9.30 Uhr einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und den Beschwerdeführer dazu geladen. Zum Termin ist der Beschwerdeführer nicht erschienen. In der Sitzungsniederschrift ist dazu vermerkt:

“Die Wachtmeisterei lässt mitteilen, Herr T... habe telefonisch etwa eine Viertelstunde vor Terminsbeginn mitgeteilt, nicht zur Verhandlung zu erscheinen, da er erkrankt sei.

Rechtsanwalt T... wird aufgegeben, bis zum 25.11.2015 ein ärztliches Attest über die kurzfristige Erkrankung dem Gericht vorzulegen sowie ferner nachzuweisen, warum keiner der mit dem Klägervertreter tätigen Kollegen in der Lage gewesen sei, den Verhandlungstermin wahrzunehmen.„

Das Gericht hat sich daraufhin vertagt. Die Sitzungsniederschrift ist dem Beschwerdeführer am 23. November 2015 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 27. November 2015 hat der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass ihm kein Attest vorliege. Ein Arzt sei nicht konsultiert worden, da die Art der Erkrankung eine Genesung binnen weniger Tage habe erwarten lassen. Er sei nicht in der Lage gewesen, einen Kollegen um Vertretung zu ersuchen, da sich die Erkrankung erst am Wochenende abgezeichnet habe. Im Übrigen seien sämtliche verfügbaren Kollegen bereits durch eigene Gerichtstermine verhindert gewesen; ein Kollege sei ebenfalls erkrankt gewesen.

Im neuen Termin am 4. Februar 2016 ist der Rechtsstreit zwischen den Klägerinnen und dem Beklagten durch einen Vergleich beendet worden.

Mit Beschluss vom 8. Februar 2016 hat das Sozialgericht dem Beschwerdeführer Verschuldenskosten in Höhe von 150,00 EUR auferlegt. Zur Begründung hat sich das Gericht auf § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestützt. Der Beschwerdeführer sei zum Termin am 16. November 2015 trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen und habe sich für sein Nichterscheinen auch nicht ausreichend entschuldigt, weil er weder ein Attest vorgelegt, noch Terminkollisionen der Kanzleikollegen glaubhaft gemacht habe. Dadurch sei die Anberaumung eines neuen Termins erforderlich geworden und seien personelle und sachliche Kapazitäten des Gerichts gebunden worden. Das Verhalten des Beschwerdeführers sei schuldhaft gewesen; ihn treffe jedenfalls ein Fahrlässigkeitsvorwurf, weil das Gericht im Protokoll vom 16. November 2015 eindeutige Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines kurzfristigen unverschuldeten Nichterscheinens gestellt habe, die nicht erfüllt worden seien. Es sei entgegen der wohl überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum zulässig und im vorliegenden Fall nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens auch sachgerecht, dem Prozessbevollmächtigten ...

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