Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Kosten für Fahrten zu ambulanten Krankenbehandlungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wiederholte und mehrfach monatlich anfallende Aufwendungen für Fahrten zu ambulanten ärztlichen Behandlungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden, können im Einzelfall einen unabweisbaren laufenden besonderen Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II darstellen (Aufgabe von LSG Chemnitz vom 25.9.2013 - L 7 AS 83/12 NZB).

2. Die Trennung der Leistungssysteme der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der gesetzlichen Krankenversicherung steht einem Anspruch nach § 21 Abs 6 S 1 SGB II nicht grundsätzlich entgegen.

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 12.12.2016 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren die Übernahme von Fahrtkosten zur ambulanten Psychotherapie als Mehrbedarf im Rahmen der Grundsicherungsleistungen.

Die 1974 geborene Klägerin zu 1) lebt mit ihrem Ende 2002 geborenen Sohn, dem Kläger zu 2, in Bedarfsgemeinschaft (BG) und wohnte bis August 2016 in X... Die BG bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), zuletzt bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 12.03.2014 Leistungen für die Zeit von April bis September 2014, der für Juli bis September mit Bescheid vom 03.07.2014 auf monatliche Leistungen in Höhe von 614,58 € abgeändert wurde.

Im Mai 2013 verstarb der Ehemann bzw. Vater der Kläger, was für beide Kläger dauerhafte Psychotherapie erforderlich machte. Der Kläger zu 2) wurde durch seinen Kinderarzt an einen Psychologen überwiesen. Er wird seit Oktober 2013 durch den Psychotherapeuten W... behandelt, der seine Praxis zunächst in V..., dann aber in A... hatte. Die Klägerin zu 1) wurde durch ihren behandelnden Facharzt für Psychiatrie ebenfalls an einen Psychologen überwiesen und lies sich ab Januar 2014 durch Dr. U... in A... behandeln.

Mit Schreiben vom 17.07.2014, beim Beklagten eingegangen am 25.07.2014, beantragte die Klägerin zu 1) für sich und ihren Sohn die Anerkennung eines Mehraufwandes durch Fahrtkosten zur Psychotherapie. Sie benötige zur Bewältigung ihrer psychischen Probleme zwei mal wöchentlich Psychotherapie, ihr Sohn ein mal pro Woche, wohin sie ihn begleiten müsse, da dieser den Weg nach A... nicht alleine unternehmen könne. Dies seien wöchentlich 3 Fahrten von X... nach A..., wofür wöchentlich etwa 43,50 €, im Monat ca. 190,00 € aufgewendet werden müssten. Sie schaffe es nicht, diese Kosten durch die Bezüge zu tragen.

Mit Bescheid vom 31.07.2014 lehnte der Beklagte die Übernahme der Kosten als Mehrbedarf ab. Die Fahrtkosten seien im Regelsatz enthalten, ein Mehrbedarf sei dafür nicht anzuerkennen.

Hiergegen erhob die Klägerin zu 1) mit Schreiben vom 11.08.2014 Widerspruch mit der Begründung, dass die zusätzliche monatliche Belastung in Höhe von ca. 190,00 € eine außergewöhnliche Härte darstelle und nicht mit laufenden normalen Arztterminen gleichgestellt werden könne.

Mit Bescheid vom 26.08.2014 wies auch die Krankenversicherung den Antrag auf Kosten-übernahme zurück. Infolge eines Gutachtens zur Prüfung einer Betreuung durch einen weiteren Facharzt für Psychiatrie in V... wurde mit Beschluss vom 26.08.2014 für die Klägerin zu 1) eine Betreuerin bestellt, die sie u.a. in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und Vermögenssorge sowie vor Ämtern zu vertreten hat.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.08.2014 wies der Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, dass die Fahrtkosten aus den Regelsätzen zu bestreiten seien. Ein zusätzlicher Anspruch stehe nach der Rechtsprechung des BSG unter engen Voraussetzungen. Ein atypischer und überdurchschnittlicher Mehrbedarf sei vorliegend nicht gegeben, sondern die Fahrtkosten könnten durch Umschichtung der Ausgaben getragen werden. Zudem sei es möglich, Psychotherapie bei einem Therapeuten durchzuführen, der seine Praxis näher am Wohnort der Klägerin habe.

Hiergegen erhob die Betreuerin im Namen der Klägerin zu 1) am 22.09.2014 Klage und führte im Laufe des Klageverfahrens aus, dass die Therapie zwingend erforderlich und der Wechsel des Psychologen nicht dienlich sei. Die Klägerin zu 1) habe bei Behandlungsbeginn keinen Therapeuten in der Nähe gefunden, bei dem sie nicht mindestens ein Jahr Wartezeit gehabt hätte. Am 09.10.2014 teilte die Klägerin zu 1) mit, dass sie auch für ihren Sohn Klage erhebe. Auf richterlichen Hinweis, dass das Widerspruchsverfahren hinsichtlich des Sohnes der Klägerin offenbar noch nicht abgeschlossen sei, erließ der Beklagte am 17.03.2015 einen Widerspruchsbescheid, mit dem auch der Widerspruch des Sohnes gegen die Antragsablehnung zurückgewiesen wurde. Die Kläger führten in der Klage weiter aus, dass bereits Monatskarten für 2 Zonen für die Klägerin zu 1) und eine Monatskarte mit einer Zone für den Kläger zu 2) angeschafft worden seien und...

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