Verfahrensgang

ArbG Chemnitz (Urteil vom 05.05.1994; Aktenzeichen 12 Ca 878/94)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Dauer der Kündigungsfrist.

Der am 12. Februar 1938 geborene Kläger ist seit 1952 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger als Mitarbeiter in der Fertigungsnutzung beschäftigt. Der Bruttomonatsverdienst betrug zuletzt 3.600,– DM.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Metall- und Elektroindustrie Sachsen vom 1. April 1991 (nachfolgend: MTV) Anwendung. Dieser sieht in § 8 Regelungen über die Kündigung wie folgt vor:

„1.

Kündigungen müssen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen erfolgen. Der Arbeitgeber hat von allen geplanten Entlassungen dem Betriebsrat so früh wie möglich Mitteilung zu geben, um mit ihm über Art. und Umfang der beabsichtigen Maßnahmen zu beraten.

Unter „gesetzlichen Bestimmungen” im Sinne dieser Regelung sind die einschlägigen Bestimmungen des Betriebsverfassungs-, Schwerbehinderten-, Mutterschutz- und Kündigungsschutzgesetzes zu verstehen. Auf Satz 2 wird besonders hingewiesen.

2.

(I) Die Kündigungsfrist beträgt mindestens 2 Wochen (entspricht § 55 (1) AGB-DDR).

(II) Hat der Arbeitsvertrag in demselben Betrieb oder Unternehmen 5 Jahre bestanden, so erhöht sich für die Kündigung durch den Arbeitgeber die Kündigungsfrist auf einen Monat zum Monatsende, hat er 10 Jahre bestanden, erhöht sich die Kündigungsfrist auf 2 Monate zum Monatsende, hat er 20 Jahre bestanden, erhöht sich die Kündigungsfrist auf 3 Monate zum Ende des Kalendervierteljahres. Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt (entspricht § 55 (2) AGB-DDR).

(III) Für die Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitnehmer darf arbeitsvertraglich keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber (entspricht § 55 (4) AGB-DDR).

(IV) Wird für das Tarifgebiet Bayern eine Neuregelung der Kündigungsfristen vereinbart, so gilt diese Regelung auch im Tarifgebiet Sachsen.

3.

Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis beiderseits nach Maßgabe der für die Probezeit jeweils vereinbarten Kündigungsfrist gelöst werden. Ist keine Kündigungsfrist vereinbart, so gilt eintägige Kündigung zum Schluß des Arbeitstages.

Die Regelung der Ziff. 3 gilt für befristete wie für unbefristete Arbeitsverhältnisse. Die Kündigungsfrist ist zweckmäßigerweise in der Einstellungsvereinbarung schriftlich mit festzulegen. Wird von Satz 2 Gebrauch gemacht, so ist die Kündigung spätestens am Vortage auszusprechen; sie ist nur zum Schluß eines Arbeitstages zulässig.

4. …

5. …”

Mit Schreiben vom 17. September 1993 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. Dezember 1993 wegen der Stillegung des Betriebes.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe das Arbeitsverhältnis fristgemäß nur zum 30. April 1994 kündigen können. Aufgrund des Alters und der Betriebszugehörigkeit betrage die Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 222 EG BGB in der Fassung des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (Kündigungsfristengesetz – KündFG) vom 7. Oktober 1993 7 Monate zum Monatsende. § 8 Nr. 3 des einschlägigen MTV verweise lediglich auf § 55 AGB-DDR und enthalte daher keine eigenständige Regelung. Vielmehr seien die gesetzlichen Bestimmungen nur wiederholt worden, so daß es an dem eigenen Rechtsetzungswillen der Tarifvertragsparteien gefehlt habe.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 17. September 1993 nicht zum 31. Dezember 1993, sondern erst zum 30. April 1994 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, das Arbeitsverhältnis sei zum 31. Dezember 1993 wirksam beendet worden. Die Kündigungsfrist betrage nach § 8 (2) Abs. 2 MTV 3 Monate zum Ende des Kalendervierteljahres.

Die Tarifvertragsparteien hätten in § 8 MTV einen eigenständigen Normsetzungswillen dokumentiert. Als Rechtsnorm des Tarifvertrages sei diese Regelung mangels einer ablösenden neuen Tarifregelung verbindlich.

Das Arbeitsgericht Chemnitz hat mit Urteil vom 5. Mai 1994 der Klage stattgegeben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie wiederholt ihr Vorbringen in der ersten Instanz und führt ergänzend aus, die Tarifvertragsparteien hätten eine normative Regelung gewollt. Die Tarifvertragsparteien hätten in Kenntnis des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 1990, mit dem der § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB für verfassungswidrig erklärt worden sei, die Kündigungsfristen des § 55 AGB-DDR vereinbart. Damit hätten sie zum Ausdruck gebracht, daß dies in Abweichung einer möglichen Neuregelung durch den Gesetzgeber habe gelten sollen. Die Tarifvertragsparteien hätten nichts anderes als eine in ihrer normativen Wirkung von der außertariflichen Norm unabhängige eigenstä...

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