Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltensbedingte Kündigung wegen qualitativer Minderleistung bei Massenproduktion. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ob die für eine verhaltensbedingte Kündigung notwendige schuldhafte erhebliche Unterschreitung der geschuldeten Leistung vorliegt, richtet sich zunächst nach dem geschuldeten Leistungsumfang. Der wiederum bestimmt sich nach dem Arbeitsinhalt und dem individuellen Leistungsvermögen des Arbeitnehmers.

2. Arbeitet der Arbeitnehmer nicht so gut, wie er kann, so wäre hiermit die bewusste teilweise Zurückhaltung der Arbeitskraft tatbestandlich indiziert und damit eine teilweise Arbeitsverweigerung anzunehmen.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Leipzig (Urteil vom 15.04.2005; Aktenzeichen 8 Ca 8012/04)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.01.2008; Aktenzeichen 2 AZR 536/06)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 15.04.2005 – 8 Ca 8012/04 – wird auf Kosten der Beklagten

zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in zweiter Instanz um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen mit Schreiben der Beklagten vom 30.11.2004.

Die 1956 geborene Klägerin, geschieden, keine Unterhaltsverpflichtungen, steht seit 16.01.1995 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten als Lager- und Versandarbeiterin mit einer Arbeitszeit von 31 Stunden in der Woche bei einem Durchschnittsverdienst von zuletzt EUR 1.265,00 brutto im Monat (Grundvergütung und leistungsabhängige Prämie). Sie ist im Sorterversand eingesetzt. Der Sorterversand besteht aus zwei Struktureinheiten (Kostenstellen), nämlich die Sorterpackerei mit ca. 300 Arbeitnehmern und die Kartonagenlieferung mit ca. 30 Arbeitnehmern. Die Mitarbeiter des Sorterversandes können abwechselnd an den Rutschen, im Packbereich, im Kartonagenlager oder in der Auflage eingesetzt werden. Jährlich verlassen ca. 20 Millionen Sendungen das Lager.

Die Beklagte benutzt ein EDV-gestütztes Erfassungssystem. Dieses erstellt für jede Warensendung auf der Grundlage der Kundenbestellung die entsprechenden Warenscheine und Versandpapiere. Auf beiden Papieren erscheinen identische Daten in Form von Barcodes mit Sendungsnummer, Packnummer, Arbeitszettel der betreffenden Sendung, Kartongrößenvorschlag und sog. Rutschennummer, welche auch in der Datenbank des EDV-Systems gespeichert sind. Die Warenstücke einer Sendung sind einer bestimmten Rutschennummer zugeteilt. Das EDV-System legt fest, an welcher Rutsche – hierbei handelt es sich um einen Warenstückauffangbehälter, vgl. die Fotos Bl. 26 d. A.) – das Warenstück abgeworfen wird. An den Rutschen arbeiten die Mitarbeiter, u. a. die Klägerin, die Aufträge ab. Zu Schichtbeginn wird die persönliche Identifikationsnummer der Mitarbeiter (Nummer der Klägerin: 2770774) mit den Rutschennummern, die die Mitarbeiter zu bedienen haben, in das EDV-System eingegeben. Das System steuert den Kippschalter-Sorter (vgl. Foto Bl. 26 R. d. A.) und die Rutschen. Jeder Mitarbeiter an den Rutschen hat mehrere dieser Rutschen zu bedienen. Bei Schichtwechsel werden die Rutschen neu zugeordnet. Befinden sich in den Rutschen bei Schichtwechsel noch Sendungen, werden sie von den neu zugeordneten Mitarbeitern der Folgeschicht abgearbeitet. Die Verknüpfung dieser Sendung mit der persönlichen Identifikationsnummer des neu eintretenden Mitarbeiters erfolgt, wenn dieser die Rutsche freigibt.

Die Klägerin war u. a. in den Zeiten vom 01.03. bis 30.06.2003, 01.01. bis 31.03.2004 und 01.07. bis 30.09.2004 mit der Abarbeitung der Aufträge an den Rutschen beschäftigt. Hierbei hatte sie Warenstücke entsprechend den Versandpapieren an den Rutschen in Kartons zu verpacken und durch Betätigen der Druckknöpfe die maschinelle Verknüpfung der Sendung mit ihrer Identifikationsnummer vorzunehmen.

Hierbei wurden drei Fehlerarten festgehalten, nämlich:

  • unvollständige Sendung durch fehlendes Warenstück,
  • Kundenverwechslung, indem mind. ein falsches Warenstück zugeteilt wurde, damit mind. zwei Sendungen fehlerhaft,
  • Sendungsverwechslung durch Verwechslung der Versandaufkleber.

Fehler wurden wie folgt festgestellt:

  • Abfrage des Sendungsstatus für die überzähligen Warenstücke am Sorterversand,
  • Kundenreklamation,
  • Stichproben (prüfen auf Übereinstimmung der Warenstücke im Paket mit Versandpapieren),
  • Bearbeitung im Retourenbetrieb in Nürnberg (dort werden die Sendungsnummern ermittelt).

Die Sendungsnummern werden täglich nach Leipzig per Fax mitgeteilt. Dort werden sie durch Abfrage der Datenbank, welche die Sendungsnummern mit der persönlichen Identifikationsnummer verknüpft, zugeordnet.

Die Beklagte hat nach ihren Angaben bei der Klägerin folgende Fehlerhäufigkeit festgestellt (siehe auch die Aufstellungen Bl. 30 – 110 d. A. sowie in dem Anlagenordner „Fehlerdokumentation”):

In der Zeit vom 01.01.2003 bis 31.03.2003 66 Fehler bei 15.490 Sendungen = 4,26 ‰,

vom 01.04.2003 bis 30.06.2003 65 Fehler bei 11....

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