Leitsatz (amtlich)

1. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des Therapieunterbringungsgesetzes bestehen keine durchgreifenden Zweifel.

2. § 1 Abs. 1 ThUG gilt auch dann, wenn sich ein Betroffener zu keinem Zeitpunkt rechtskräftig in Sicherungsverwahrung befand.

3. § 1 Abs. 1 ThUG verlangt nicht, dass die gescheiterte Sicherungsverwahrung gerade infolge der in Bezug genommenen strafgerichtlichen Verurteilung hätte erfolgen können.

4. Zu den die Therapieunterbringung rechtfertigenden psychischen Störungen zählt die dissoziale Persönlichkeitsstörung.

5. Die Therapieunterbringung kann in einer Einrichtung vollzogen werden, die ansonsten die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt vollstreckt.

6. Um sich von Strafe zu unterscheiden muss die gesetzlich vorgesehene und verfassungsrechtlich gebotene Behandlung dem Betroffenen tatsächlich zu Teil werden können. Lediglich formale Behandlungsangebote genügen dazu nicht.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Beschluss vom 02.09.2011; Aktenzeichen 5 O 59/11)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 11.07.2013; Aktenzeichen 2 BvR 2302/11, 2 BvR 1279/12)

 

Tenor

1. Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwalt R. für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens beigeordnet.

2. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des LG Saarbrücken vom 2.9.2011 (5 O 59/11) wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Der Betroffene, der seit seinem 13. Lebensjahr Alkohol konsumiert hat, wurde mit Urteil des LG Saarbrücken vom 11.12.1970 (2. - j 27/70) u.a. wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt. Vor der Tat hatte er Bier getrunken (BAK 2 -). Er zwang das Tatopfer, ein damals 16 Jahre altes Mädchen, zum Geschlechtsverkehr und erwürgte es dabei.

Am 12.6.1979 wurde er aus der Haft entlassen. Sieben Wochen später, am 30.7.1979, begegnete er einer ihm bis dahin unbekannten Frau in einem Treppenhaus. Er drängte sich in ihre Wohnung, wo er sie fragte, ob sie "die Pille" nehme, sie am Hals packte und würgte, bis ihr schwindlig wurde. Die Frau konnte sich durch Treten und Kratzen befreien und aus dem Haus flüchten. Der Betroffene wurde wegen dieser Tat am 3.8.1979 inhaftiert. Das LG Saarbrücken verurteilte ihn am 9.5.1980 (4 - 4/80, 7 Js 10686/79) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren.

Nach seiner Haftentlassung am 4.2.1983 hielt er sich zumeist in England auf. Feststehende Informationen über etwaige dort begangene Straftaten liegen derzeit nicht vor. Im Februar 1988 begab er sich ins Saarland. An den Fastnachtstagen trank er erhebliche Mengen Alkohol. Er lernte am 17.2.1988 eine Frau kennen, die er auf ihrem Nachhauseweg verfolgte. Er griff sie am Hals, würgte sie und zerrte sie in ein Waldgelände. Trotz heftiger Gegenwehr gelang es ihm, ihr die Kleider auszuziehen. Er schlug auf die Frau ein - zum beabsichtigten Geschlechtsverkehr kam es wegen einer vorzeitigen Ejakulation nicht - und ließ sie bei Temperaturen um 0 C unbekleidet auf dem Waldboden zurück. Sie wurde gegen Mitternacht - verletzt, unterkühlt und in einem Schockzustand - von einer Passantin gefunden und musste stationär, zunächst intensivmedizinisch, behandelt werden. Das LG Saarbrücken ging aufgrund einer gerichtspsychiatrischen Begutachtung (Dr. Rö.) von einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB nach jahrelangem Alkoholabusus mit der Folge einer Persönlichkeitsstörung aus und hielt außerdem wegen der akuten Alkoholisierung eine Schuldunfähigkeit i.S.d. § 20 StGB für nicht sicher ausschließbar. Es verurteilte den Betroffenen am 28.9.1989 (1 - 2/89 SchwG) wegen vorsätzlichen Vollrauschs gem. § 323a StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und ordnete zugleich gem. § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Aufgrund dieser Anordnung befand der Betroffene sich ab dem 11.10.1989 im Maßregelvollzug im damaligen Landeskrankenhaus in Merzig. Er entwich bei einem begleiteten Stadtausgang am 23.2.1990. Er betrank sich und suchte ein Bordell auf. Dort sprang er eine Prostituierte, mit der er sich in ein Zimmer begeben hatte, von hinten an, hielt ihr den Mund zu und würgte sie am Hals. Die Frau wehrte sich, er kratzte sie im Gesicht, griff ihr mit beiden Händen in die Haare und zog den Kopf nach hinten. Als eine andere Prostituierte aufmerksam wurde, löste sie einen Alarm aus, und der Betroffene konnte von der Polizei gestellt werden. Er hatte zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von 1,53 -. Das LG Trier (Urt. v. 28.2.1991 - 2 Js 2399/90) konstatierte auf der Grundlage einer psychiatrischen Begutachtung (Dr. G.) eine schwer wiegende Persönlichkeitsfehlentwicklung und vermochte im Hinblick auf den hinzutretenden Alkoholkonsum eine Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB nicht sicher auszuschließen. Es ordnete deshalb gem. § 63 StGB (nur) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Am 5.4.1991 gelang dem Betroffenen erneut die Flucht. Er wurde Ende August in England verhaftet ...

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