1 Einführung

Wenn bei der Errichtung eines Gebäudes nicht nur bis an die Grundstücksgrenze (Grenzbau), sondern über die Grundstücksgrenze hinaus auf das Nachbargrundstück gebaut wird (auch wenn es sich nur um einige Zentimeter handelt), spricht man nach der Terminologie der §§ 912 bis 916 BGB von einem Überbau (Grenzüberbau). Dabei wird die eigentliche Fallgestaltung, die der Gesetzgeber bei der Schaffung dieser Vorschriften vor Augen hatte, dass nämlich mangels genauer Kenntnis vom Grenzverlauf ein Gebäude teilweise auf Nachbars Grund und Boden errichtet wird, heutzutage eher selten vorkommen, weil in unseren Tagen die Grundstücke genauer vermessen und abgemarkt (mit Grenzzeichen versehen) werden, als dies vor und bei In-Kraft-Treten des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zum 1.1.1900 der Fall war.

Dennoch sind die §§ 912 bis 916 BGB, die den Grenzüberbau und seine Rechtsfolgen regeln, in ihrem durch die Rechtsprechung fortentwickelten Anwendungsbereich auch heute noch aktuell. Dies mögen die folgenden Beispiele verdeutlichen:

 
Praxis-Beispiel

Praxisfälle[1]

Zustimmung der Rechtsvorgänger

Nicht selten ist der Fall, dass ein Gebäude mit Zustimmung des Nachbarn über die gemeinsame Grundstücksgrenze gebaut wird, wobei die Motive für die Zustimmung familiärer (verwandtschaftlicher) oder beruflicher Natur sein können (etwa Geschäftspartner des Überbauenden). Eine Grunddienstbarkeit wird nicht eingetragen. Später gelangt das überbaute Grundstück in fremde Hände und der neue Eigentümer problematisiert jetzt den vorhandenen Überbau.[2]

Eigengrenzüberbau

Zu denken ist auch an den Fall, dass zwei angrenzende Grundstücke zunächst im Eigentum ein und derselben Person stehen, die auf einem der Grundstücke ein Gebäude errichtet, das zum Teil auch auf das andere Grundstück hinüber gebaut wird. Die Eintragung einer Grunddienstbarkeit unterbleibt. Einige Zeit danach wird das überbaute Grundstück im Wege der Zwangsversteigerung von einem Dritten erworben. Kann der neue Eigentümer den Überbau beseitigen oder muss er ihn (gegen Zahlung einer Überbaurente) dulden?[3]

Überbau durch Grundstücksteilung

Auf einem großen Grundstück wird im 19. Jahrhundert ein Wohngebäude errichtet, das zwei separate Eingänge hat und von zwei Familien in getrennten Wohnbereichen bewohnt wird. In den späteren Jahren wird das Grundstück in der Weise geteilt, dass die Grundstücksgrenze etwa durch die Mitte des Gebäudes entsprechend der bestehenden Wohnnutzung verläuft. Das Besondere hierbei ist, dass im 1. Stock des Gebäudes die Trennwand zur Nachbarwohnung nicht auf der Grundstücksgrenze steht, sondern sich um ca. einen Meter versetzt im Luftraum des Nachbargrundstücks befindet. Kann hier ein späterer Eigentümer des in dieser Weise "überbauten" Nachbargrundstücks ein Versetzen der Trennwand auf die Grundstücksgrenze verlangen oder muss er den bestehenden Zustand akzeptieren?[4]

Überbau und Sondereigentum

Bei der Planung eines größeren Gebäudekomplexes, bestehend aus einer Eigentumswohnanlage auf Grundstück A und einem Hotel auf dem angrenzenden Grundstück B ist auch eine Tiefgarage vorgesehen, deren Tiefgaragenstellplätze Nr. 1 bis 79 sich auf Grundstück A und Nr. 81 bis 128 auf Grundstück B befinden. Diese Stellplätze sind für die Käufer der Eigentumswohnungen reserviert. Entsprechend dieser Planung wird der Gebäudekomplex nebst Tiefgarage gebaut. Später wird wegen finanzieller Schwierigkeiten das Grundstück B mit dem dort befindlichen Hotel zwangsversteigert. Der neue Eigentümer beansprucht den unterhalb der Freiflächen auf seinem Grundstück befindlichen Anteil der Tiefgarage. Was ist mit den Käufern der Eigentumswohnungen und ihrem Sondereigentum an den Tiefgaragenstellplätzen Nr. 81 bis 128?[5]

Überbau einer Grunddienstbarkeit

Zwei Grundstücke liegen dergestalt an einer öffentlichen Straße, dass Grundstück A unmittelbar an die Straße angrenzt und Grundstück B von der Straße aus gesehen dahinter liegt. Die Zufahrt für Grundstück B liegt auf seiner Seitenfläche von Grundstück A und ist durch eine Grunddienstbarkeit im Grundbuch gesichert. Bei einer Neubebauung von Grundstück A wird auch die Fläche der Zufahrt für Grundstück B dergestalt überbaut, dass ein tunnelartiger Gebäudedurchbruch geschaffen wird. Dieser Durchbruch ist jedoch nicht hoch genug, um mit Lastkraftwagen wie bisher das Grundstück B zu erreichen. Kann Nachbar B eine bauliche Veränderung des Gebäudedurchbruchs erreichen oder muss er sich mit dem Überbau seiner Grunddienstbarkeit gegen Zahlung einer Überbaurente durch den Eigentümer von Grundstück A abfinden?[6]

Überbau im Bauwich

Der Eigentümer von Grundstück A errichtet auf seinem Grundstück ein Gebäude, das zwar nicht die Grundstücksgrenze zum Nachbargrundstück B verletzt, aber teilweise in den Bauwich zur Grenze des Nachbargrundstücks hinein ragt. Unter einem Bauwich versteht man die in den Landesbauordnungen der Bundesländer geregelten Abstandsflächen von Gebäuden zur nachbarseitigen Grundstücksgrenze, die im Allgemeinen eine Tiefe von mindestens 3 m haben. Die ...

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