Leitsatz

Die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch einen Vermieter stellt eine unerlaubte Selbsthilfe dar, für deren Folgen der Vermieter verschuldensunabhängig nach § 231 BGB haftet (Bestätigung der Senatsurteile v. 6.7.1977, VIII ZR 277/75, WM 1977 S. 1126, und v. 1.10.2003, VIII ZR 326/02, WuM 2003 S. 708).

Der Vermieter, der eine Wohnung in Abwesenheit des Mieters ohne Vorliegen eines gerichtlichen Titels durch verbotene Eigenmacht in Besitz nimmt, hat sich aufgrund der ihn treffenden Obhutspflicht nicht nur zu entlasten, soweit ihm die Herausgabe nachweislich vorhandener Gegenstände unmöglich wird oder nachweislich eine Verschlechterung an herauszugebenden Gegenständen eintritt. Er muss aufgrund seiner Obhutspflicht die Interessen des an der eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Mieters auch dadurch wahren, dass er bei der Inbesitznahme ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufstellt und deren Wert schätzen lässt. Kommt er dem nicht nach, hat er zu beweisen, in welchem Umfang Bestand und Wert der der Schadensberechnung zugrunde gelegten Gegenstände von den Angaben des Mieters abweichen, soweit dessen Angaben plausibel sind (Anschluss an BGH, Urteil v. 27.9.1951, IV ZR 155/50, BGHZ 3 S. 162).

(amtliche Leitsätze des BGH)

 

Normenkette

BGB §§ 228, 231, 241 Abs. 2, 858

 

Kommentar

Die Wohnung des Mieters wurde am 25. Februar 2005 aufgrund der Vermisstenanzeige eines Verwandten von der Polizei geöffnet und durchsucht. Diese stellte fest, dass sich in der Wohnung die üblichen Einrichtungsgegenstände befanden; der Mieter war allerdings auch in der Folgezeit nicht auffindbar. Dies teilte die Polizei dem Vermieter mit. Nachdem die Mietzahlungen für die Monate März und April ausblieben, hat der Vermieter das Mietverhältnis am 20. April 2005 durch Einwurf des Kündigungsschreibens in den Wohnungsbriefkasten des Mieters fristlos gekündigt. Eine Räumungsklage wurde nicht erhoben. Am 19. Mai 2005 ließ der Vermieter die durch die Polizei verschlossene Wohnung durch seine Angestellten öffnen. Diese entsorgten einen Teil der dort befindlichen Gegenstände; einen anderen Teil lagerte der Vermieter ein. Über die Räumung wurde ein Protokoll gefertigt, der Zustand der Wohnung durch Fotos festgehalten.

Nach einigen Monaten tauchte der Mieter wieder auf. Er nimmt den Vermieter auf Schadensersatz in Höhe von ca. 62.000 EUR für den Verlust und die Beschädigung von Einrichtungsgegenständen in Anspruch. Der Vermieter hat u.a. den Umfang und die Höhe des behaupteten Schadens bestritten. Die Instanzgerichte haben die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Mieter sei für die Schadenshöhe beweispflichtig; dieser Beweis sei nicht geführt. Der BGH hat das Urteil aufgehoben.

1. Zum Anspruchsgrund

Grundsätzlich ist die Räumung einer Wohnung nur aufgrund eines gerichtlichen Räumungstitels möglich. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Mieter den Besitz an den Räumen erkennbar aufgegeben hat. Der Umstand, dass sich in der Wohnung noch Einrichtungsgegenstände befinden, steht der Annahme einer freiwilligen Besitzaufgabe entgegen.

Eine Räumung und Inbesitznahme ohne Räumungstitel durch den Vermieter ist als verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) und unerlaubte Selbsthilfe (§ 229 BGB) zu bewerten. Soweit dem Mieter hierdurch ein Schaden entsteht, haftet der Vermieter verschuldensunabhängig (§ 231 BGB;BGH, Urteil v. 6.7.1977, VIII ZR 277/75, NJW 1977 S. 1818; BGH, Urteil v. 1.10.2003, VIII ZR 326/02, NJW-RR 2004 S. 493); die irrige Annahme eines Selbsthilferechts entlastet den Vermieter aus diesem Grund nicht. Hierbei spielt es keine Rolle, ob das Mietverhältnis fortbesteht oder bereits gekündigt ist. Ist der Aufenthalt des Mieters unbekannt, muss der Vermieter gleichwohl Räumungsklage einreichen; diese wird im Wege der öffentlichen Zustellung erhoben.

2. Zur Beweislastverteilung hinsichtlich der Schadenshöhe

Nach allgemeinen Grundsätzen hat der Geschädigte die Höhe des Schadens zu beweisen. In den Fällen der Räumung im Wege der verbotenen Eigenmacht ist dies anders. Dem Vermieter obliegt eine Inventarisierungs-, Schätzungs- und Aufbewahrungspflicht hinsichtlich der in der Wohnung befindlichen Gegenstände. Dies ergibt sich aus der dem Vermieter obliegenden Obhutspflicht (§ 241 Abs. 2 BGB).

2.1 Hieraus sind folgende Regeln abzuleiten:

2.1.1 Der Vermieter muss ein Verzeichnis über die in der Wohnung befindlichen Gegenstände anfertigen. Aus dem Verzeichnis müssen sich der Zustand und die wertbildenden Merkmale der Gegenstände ergeben.

2.1.2 Der Wert der jeweiligen Gegenstände ist vom Vermieter schätzen zu lassen; die jeweiligen Schätzwerte müssen aus dem Verzeichnis ersichtlich sein.

2.1.3 Der Vermieter hat die Gegenstände sicher aufzubewahren.

2.1.4 Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen gilt, soweit es sich ersichtlich um verbrauchte und damit offenkundig wertlose Gegenstände handelt, an deren Dokumentierung der Mieter "bereits auf den ersten Bli...

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