Abseits der Detailfragen der beiden zugrunde liegenden Sachverhalte enthält der Beschluss des BVerfG klare Aussagen zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Pflichtteilsrechts und der Ausgestaltungsmöglichkeiten:

  • Die Erbrechtsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG gewährt nicht das (unbedingte) Recht, den vorhandenen Eigentumsbestand von Todes wegen ungemindert an Dritte zu übertragen; der Gesetzgeber hat hinsichtlich der Einschränkung des Erbrechts weitergehende Möglichkeiten als hinsichtlich der Einschränkung des Eigentums, da das Erbrecht an einen Vermögensübergang anknüpft (Rn. 63 der Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 19.4.2005).
  • Die Testierfreiheit als Bestandteil der Erbrechtsgarantie räumt dem Erblasser die Möglichkeit ein, von der gesetzlichen Erbfolge abweichende Regelungen zu treffen und insbesondere Erben von der Nachlassbeteiligung auszuschließen und sie wertmäßig auf den gesetzlichen Pflichtteil zu beschränken (Rn. 64 der Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 19.4.2005, siehe F).
  • Der Erblasser ist von Verfassung wegen nicht zu einer Gleichbehandlung seiner Abkömmlinge gezwungen (Rn. 64 der Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 19.4.2005, siehe F).
  • Den Kindern steht grundsätzlich ein unentziehbarer und bedarfsunabhängiger Anspruch auf eine wirtschaftliche Mindestbeteiligung am Nachlass aufgrund der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu.

    • Die Teilhabe der Kinder am Nachlass des Erblassers hat im deutschen Recht eine bis ins römische Recht zurückgehende Tradition, die auch vom Grundsatz her vergleichbar und lediglich in der Detailausgestaltung unterschiedlich vorhanden ist (Rn. 71 der Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 19.4.2005).
  • Das Pflichtteilsrecht ergibt sich darüber hinaus aus dem durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz des Verhältnisses zwischen dem Erblasser und seinen Kindern.

    • Dieses Verhältnis ist von der wechselseitigen Pflicht von Eltern wie Kindern zu Beistand und Rücksichtnahme geprägt. Es stellt eine lebenslange Gemeinschaft dar, die dazu führt, füreinander sowohl materiell als auch persönlich Verantwortung zu übernehmen. Diese familiäre Solidarität wirkt auch in den Bereich des Erbrechts hinein.
    • Hieraus ist gerechtfertigt, dass dem Kind mit dem Pflichtteilsrecht auch über den Tod des Erblassers hinaus eine ökonomische Basis aus dem Vermögen des verstorbenen Elternteils gesichert werden muss (Rn. 74 der Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 19.4.2005).
  • Das Pflichtteilsrecht setzt gerade in den Fällen einer Entfremdung zwischen dem Erblasser und seinen Kindern oder der Zerrüttung der Beziehung der Testierfreiheit Grenzen (Rn. 75 der Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 19.4.2005).
  • Insbesondere zum Schutz von Kindern des Erblassers aus einer früheren Ehe oder Beziehung stellt das Pflichtteilsrecht eine Ausprägung des durch Art. 6 Abs. 5 GG begründeten Schutzes im Bereich des Erbrechts dar (Rn. 76 der Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 19.4.2005).
  • Das Pflichtteilsrecht in seiner vorhandenen Ausprägung bewegt sich im Rahmen des verfassungsrechtlich zulässigen Gestaltungsspielraums. Der Gesetzgeber könnte statt eines Pflichtteilsrechts in der Ausgestaltung eines Geldanspruchs auch das enterbte Kind an der Erbengemeinschaft beteiligen. Auch hinsichtlich der Höhe des Pflichtteils besteht eine Variationsbreite. Die Höhe des Pflichtteils muss lediglich eine angemessene Teilhabe der Kinder am Nachlass des Erblassers gewährleisten.

    • Über den derzeitigen Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Anspruchs hinaus muss die Beteiligung nicht ausgestaltet sein (Rn. 78 der Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 19.4.2005).
  • Nicht jedes Fehlverhalten des Kindes, das zu einer Entfremdung oder zu einem Zerwürfnis mit dem Erblasser führt, rechtfertigt den Vorrang der Testierfreiheit, da sonst das Pflichtteilsrecht der Kinder leer liefe (Rn. 80 der Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 19.4.2005)
  • Der Gesetzgeber muss von Verfassung wegen Regelungen vorsehen, die eine Pflichtteilsentziehung möglich machen. Er darf hierbei auf generalisierende und typisierende Regelungen zurückgreifen. Die Pflichtteilsentziehung darf dabei an Tatbestandsmerkmale anknüpfen, deren Vorhandensein in einem späteren gerichtlichen Verfahren relativ leicht nachgewiesen werden kann (Rn. 82 der Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 19.4.2005).
  • Eine allgemeine Zerrüttungs- oder Entfremdungsklausel, die den Entzug des Pflichtteils rechtfertigen würde, wäre nicht verfassungskonform. Der Gesetzgeber hat bei der Normierung der Tatbestände, die den Entzug oder die Beschränkung der Nachlassteilhabe der Kinder wegen groben Fehlverhaltens rechtfertigen, insbesondere die Grundsätze der Normenklarheit, der Justiziabilität und der Rechtssicherheit zu beachten (Rn. 83 der Entscheidung des BVerfG, Beschluss v. 19.4.2005).

Gegen eine allgemeine Zerrüttungs- und Entfremdungsklausel spricht auch Art. 6 Abs. 5 GG. Hier würde nämlich bei nicht ehelichen Kindern das Risiko im Verhältnis zu den ehelichen Kindern für ein...

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