Auch bei Beachtung der in den Landesnachbarrechtsgesetzen vorgeschriebenen Grenzabstände für Bäume und Sträucher kann es geschehen, dass Wurzeln und Zweige dieser Gehölze über die Grenze hinweg in das Nachbargrundstück hineinwachsen. In so einem Fall stellt sich die Frage, ob der Nachbar die Eindringlinge hinnehmen muss oder ob er sich gegen sie zur Wehr setzen kann. Die Antwort bemisst sich nach den §§ 910 BGB, 1004 BGB.

Die Rechte aus den §§ 910 BGB, 1004 BGB stehen nur dem Grundstückseigentümer zu. Wenn Sie Grundstücksmieter oder -pächter sind, müssen Sie mit Ihrem Vermieter bzw. Verpächter abklären, ob er von diesen Rechten Gebrauch machen oder Sie bevollmächtigen will. Vergessen Sie auch nicht eine Anfrage bei Ihrer Gemeinde- oder Stadtverwaltung, ob Ihr und Ihres Nachbarn Grundstück im Geltungsbereich einer Baumschutzsatzung bzw. Baumschutzverordnung liegen. Die streitigen Bäume oder Sträucher könnten geschützt sein (siehe hierzu Kap. 1.4).

§ 910 BGB und § 1004 BGB gelten nicht nur im Verhältnis von privaten Grundstücksnachbarn, sondern auch für Bäume, die auf oder an öffentlichem Straßengrund stehen und deren Wurzeln und Zweige in angrenzende Privatgrundstücke hineinwachsen.

5.1 Herüberwachsende Wurzeln

Das bloße Hinüberwachsen der Wurzeln von benachbarten Bäumen und Sträuchern auf das eigene Grundstück ist für sich genommen noch keine Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung, die abgewehrt werden könnte.[1] Das Gesetz verlangt vielmehr gemäß § 910 Abs. 2 BGB eine konkrete Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung.[2]

Das ist etwa dann der Fall, wenn:

  • Baumwurzeln in eine Abwasserleitung eindringen und diese verstopfen.[3]
  • die Standfestigkeit einer Grundstücksmauer durch Baumwurzeln beeinträchtigt wird[4],
  • durch Wurzelwachstum Bodenaufbrüche in einer Garage und dem anschließenden Teil einer Hoffläche verursacht werden[5] oder
  • die Teerdecke einer Grundstücksauffahrt durch das Wurzelwachstum angehoben wird[6]
  • wenn Wegeplatten eines Nachbargrundstücks durch übergewachsene Wurzeln angehoben werden. In diesem Fall kann der Grundstückseigentümer die von dem Störer geschuldete Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung selbst vornehmen und die dadurch entstandenen Kosten nach Bereicherungsgrundsätzen erstattet verlangen.[7]
 
Praxis-Beispiel

BGH zur Haftung für Rückstauschäden durch Wurzeleinwuchs in Abwasserkanäle

Ausführlich hat sich der BGH mit der Frage beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen Eigentümer von baumbestandenen Grundstücken für Rückstauschäden haften, die durch Wurzeleinwuchs in Abwasserkanäle entstehen.[8]

Geklagt hatte die Eigentümerin eines Hausgrundstücks, das an die städtische Schmutz- und Regenwasserkanalisation angeschlossen ist. Das Grundstück grenzt an eine im Eigentum der beklagten Gemeinde stehende Fläche, auf der ein Kastanienbaum steht. Nach einem Starkregen konnte die Regenwasserkanalisation die anfallenden Wassermassen nicht mehr ableiten, weil Wurzeln der Kastanie in den Kanal eingewachsen waren und dessen Leistungsfähigkeit stark einschränkten. Es kam zu einem Rückstau im öffentlichen Kanalsystem und zu einem Wasseraustritt, der im Keller der Klägerin zu einem Schaden von rd. 30.000 EUR führte.

Fehlende Rückstausicherung

Die Abwasserbeseitigungssatzung der beklagten Gemeinde regelt, dass sich jeder Anschlussnehmer gegen Rückstau des Abwassers aus den öffentlichen Abwasseranlagen bis zur Rückstauebene selbst zu schützen habe. Die Klägerin hatte keine Rückstausicherung installiert. Sie nahm deswegen eine Mitschuld in Höhe von 1/3 in Kauf und wollte von der Gemeinde 20.000 EUR Schadensersatz wegen der in den Kanal eingewachsenen Wurzeln des Kastanienbaums.

Verkehrssicherungspflicht

Nach Auffassung des Gerichts hängt es von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, ob und in welchem Umfang bzw. mit welcher Kontrolldichte ein Grundstückseigentümer im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht für einen auf seinem Grundstück stehenden Baum Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen auch in Bezug auf die mögliche Verwurzelung eines Abwasserkanals durchführen muss. Dabei seien zunächst

  • die räumliche Nähe des Baums und seiner Wurzeln zu dem Abwassersystem sowie
  • Art bzw. Gattung, Alter und Wurzelsystem (Flachwurzler, Herzwurzler, Tiefwurzler) des Baums zu berücksichtigen.

Welcher Art die Kontrollpflichten seien, hänge von der Zumutbarkeit für den Grundstückseigentümer im Einzelfall ab. Dabei müsse er regelmäßig nicht den Kanal selbst überprüfen, zu dem er zumeist keinen Zugang habe.

Beklagte ist "Herrin" des Kanalsystems

Im konkreten Fall hätte die Beklagte als Eigentümerin des baumbestandenen Grundstücks und zugleich als Betreiberin des öffentlichen Abwassersystems jedoch den unmittelbaren Zugang zum gesamten ober- und unterirdischen von dem Kastanienbaum ausgehenden Gefahrenbereich gehabt. Soweit im Rahmen ohnehin gebotener Inspektionen des Kanals die Einwurzelungen erkennbar gewesen wären, hätte sie als Grundstückseigentümerin die Pflicht gehabt, diese rechtzeitig zu beseitigen.

Mitverschulden der Klägerin

Eine Haftung wegen ...

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