Leitsatz (amtlich)

Zur Annahme einer lediglich fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung bei Angaben des Betroffenen zum Anlass der Fahrt.

 

Verfahrensgang

AG Kaiserslautern (Entscheidung vom 04.10.2021; Aktenzeichen 4 OWi 6070 Js 8863/21)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 04.10.2021 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

Mit Urteil vom 04.10.2021 hat das Amtsgericht den Betroffenen auf dessen rechtzeitig erhobenen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle Speyer (Az.: 21.1511751.6) wegen fahrlässigen Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h zu einer Geldbuße von 320,-- EUR verurteilt. Das im Bußgeldbescheid noch enthaltene Fahrverbot hat das Amtsgericht gem. § 4 Abs. 4 BKatV gegen Erhöhung der Regelgeldbuße entfallen lassen.

Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Rechtsbeschwerde, mit der sie insbesondere die Annahme (lediglich) fahrlässigen Verhaltens angreift.

Der Einzelrichter hat die Sache mit Beschluss vom heutigen Tag an den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Das zulässige Rechtsmittel ist begründet.

I.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 09.02.2021 um 13:06 Uhr in der Gem. Kaiserslautern die B 270 in Fahrtrichtung Weilerbach, wobei er in Höhe km 0,2 die dort mittels Verkehrsschildern auf 100 km/h begrenzte Höchstgeschwindigkeit um - toleranzbereinigte - 43 km/h überschritt.

Der Betroffene hat nach den schriftlichen Urteilsgründen die Fahrereigenschaft eingeräumt und sich dahin eingelassen, er halte Pferde in S. und habe über ein Alarmsystem einen Daueralarm von der elektrischen Einfriedung der Koppel erhalten. In der Vergangenheit sei es einmal vorgekommen, dass sich eines der Pferde in der stromführenden Schnur verwickelt und wiederholt Stromschläge erhalten habe. Nachdem er vor Ort niemanden erreicht habe, habe er sich selbst auf den Weg gemacht und aus Sorge um das Tier "möglicherweise nicht die notwendige Sorgfalt für die Beschränkung aufgebracht" (UA S. 2). Das Amtsgericht hat diese Einlassung für nicht widerlegt erachtet und einen fahrlässigen Verstoß angenommen.

II.

Die Beschwerdeführerin beanstandet mit ihrer Sachrüge zu Recht die dem Schuldvorwurf zugrunde gelegte Beweiswürdigung des Amtsgerichts. Auf die auch gegen den Rechtsfolgenausspruch gerichteten Angriffe der Beschwerdeführerin kommt es daher nicht an.

a) Die Beweiswürdigung und somit die Überzeugungsbildung des Tatrichters unterliegt einer nur eingeschränkten Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts und sind daher für dieses grundsätzlich bindend und dürfen nicht durch die eigene Beweiswürdigung ersetzt werden (zur Revision: BGH, Beschluss vom 07.06.1979 - 4 StR 441/78, juris Rn. 8; vgl. auch Nack in: StV 2002, 510, jurion; Nack in: StV 2002, 558, jurion; Miebach in: NStZ-RR 2014, 233, beck-online; Miebach in: NStZ-RR 2016, 329). Der Beurteilung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt lediglich, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, das Gericht an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt sowie nahe liegende Schlussfolgerungen nicht erörtert hat oder über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht. Lückenhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn sie die Auseinandersetzung mit wesentlichen Umständen vermissen lässt, deren Erörterung sich aufdrängte. Dem Urteil des Tatrichters muss daher bedenkenfrei entnommen werden können, dass er bei seiner Prüfung keinen wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat, der geeignet sein könnte, das Beweisergebnis zu beeinflussen (BGH, Urteil vom 17.12.1980 - 2 StR 622/80, JurionRs 1980, 14683, Rn. 5).1. Wenn auch im Bußgeldverfahren nicht dieselben Anforderungen wie im Strafverfahren gelten, so muss doch die Beweiswürdigung des Tatrichters so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung ermöglicht (OLG Koblenz, Beschluss vom 26.05.2013 - 2 SsBs 128/12, juris Rn. 12 f.; vgl. zum Ganzen auch: Pf. OLG Zweibrücken, Urteil vom 15.06.2020 - 1 OLG 2 Ss 79/19, juris Rn. 14 m.w.N.).

b) Gemessen daran vermögen die hierzu gegebenen Ausführungen die Annahme - lediglich - fahrlässigen Verhaltens nicht zu tragen.

aa) Grundsätzlich kann der Tatrichter ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass Verkehrsschilder wahrgenommen werden. Oberhalb einer Grenze von 40% der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist zudem regelmäßig davon auszugehen, dass dem Fahrer die Überschreitung der Höchstgeschwind...

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