Leitsatz (amtlich)

Zur Haftung einer an einem Berg abstürzenden Person, die im Sturz eine andere Person in den Tod reißt, wenn die Abstürzende in gefahrerhöhender Weise auf einem schmalen Bergweg ihre noch nicht einmal vierjährige Tochter an der Hand führt, dabei nicht möglichst bergseitig geht und vorhandene Halteseile nicht nutzt.

 

Verfahrensgang

LG Heilbronn (Urteil vom 16.02.2006; Aktenzeichen 3 O 475/05 I)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Heilbronn vom 16.2.2006 im Verfahren 3 O 475/05 I wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des insgesamt aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit leistet i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

4. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert der Berufung: 10.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Ersatzpflicht der Beklagten, nachdem diese bei einem Absturz beim Bergwandern den Tod des Ehemanns der Klägerin verursacht hat.

Die Beklagte unternahm am 5.9.2004 im Bereich des Tannheimer Tals in Österreich zusammen mit ihrem Ehemann, ihrem Schwiegervater, ihren beiden Söhnen und ihrer damals noch 3-jährigen, aber wenige Tage vor ihrem 4. Geburtstag stehenden Tochter eine Bergwanderung. Die Gruppe war, ausgestattet mit angemessenem Schuhwerk, vormittags mit der Neunerköpflebahn bergaufwärts gefahren, hatte einen Höhenweg begangen, an der Landsberger Hütte Mittagsrast gehalten und anschließend mit dem Abstieg in Richtung Traualpsee auf einem Wandersteig begonnen. Der Wandersteig ist an der Nordseite eines Hanges teilweise in Serpentinen angelegt. Er durchquert steiles felsiges Gelände und war feucht und rutschig. Felsseitig sind zur Sicherheit der Wanderer teilweise Stahlketten angebracht, an denen sie sich beim Laufen festhalten können. Oberhalb der späteren Unfallstelle ist talseitig teilweise ein ca. 1,20 m hoher Bretterzaun angebracht. In dem Bereich, in dem die Beklagte schließlich zu Fall kam, war der Weg aus Sicht der Beklagten zu eng, als dass sie neben ihrer Tochter hätte gehen können, um diese abzusichern. Die Tochter der Beklagten hielt sich an der vorhandenen Stahlkette fest, die Beklagte ging schräg zum Tal hin versetzt hinter dem Mädchen und hielt deren talseitige Hand, ohne sich dabei selbst an der Stahlkette festzuhalten. Sie verlor den Halt, rutschte mit dem talseitigen Fuß weg und stürzte den an dieser Stelle steilen Hang (Gefälle von ca. 42 ° Grad) hinunter.

Die Klägerin war mit ihrem Ehemann weiter unten auf demselben Wandersteig als Teil einer Wandergruppe unterwegs. Die Beklagte fiel im Rahmen ihres Sturzes von oben gegen den Ehemann der Klägerin, der dadurch das Gleichgewicht verlor und in die Tiefe stürzte. Er zog sich im Verlauf des Sturzes schwerste Verletzungen zu und verlor das Bewusstsein. Nach 10 Operationen verstarb er am 1.10.2004 im Klinikum, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Das LG hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von Schmerzensgeld an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des getöteten verurteilt. Zwar sei die Mitnahme der vierjährigen Tochter nicht haftungsbegründend, weil deren Anwesenheit nicht unmittelbar zum Tod des Ehemanns der Klägerin geführt habe und zwischen der Kindsmitnahme und dem Tod kein adäquater Zusammenhang bestehe. Die Beklagte habe aber pflichtwidrig gehandelt, indem sie sich nicht an der Stahlkette festhielt. Dieses Festhalten hätte den Sturz verhindert, es stünde nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung, dass man ohne Festhalten den Hang hinunterstürzen und, wegen des in Kehren verlaufenden häufig begangenen Weges, auf einen anderen Wanderer fallen könnte. Die Beklagte habe insoweit eine Verkehrssicherungspflicht getroffen. Indem sie als Bergwanderer am bestehenden Verkehr teilnahm, habe sie diejenigen Vorkehrungen zu treffen gehabt, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung von nahe liegenden Gefahren für andere erforderlich und zumutbar sind. Vorliegend sei die Benutzung der Sicherungskette zwingend gewesen, weil ein verständiger und umsichtiger Bergwanderer dies wegen der Wegbeschaffenheit (felsig, feucht, rutschig, so schmal, dass keine zwei Personen nebeneinander gehen konnten), wegen des steilen Abhanges und wegen der Erkennbarkeit anderer Wanderer im Bereich unterhalb des Weges für erforderlich halten musste. Die Ausrutschgefahr sei groß gewesen. Das Festhalten an der Sicherungskette diene auch dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer. Die Beklagte habe fahrlässig gehandelt, weil sie die Erforderlichkeit des Festhaltens hätte erkennen müssen. Die Rutschgefahr dränge sich auf diesem Teil des Weges geradezu auf. Obwohl sich auch der Getötete nicht festgehalten habe, müsse sich die Klägerin ein Mitverschulden nicht entgegenhalten lassen, weil diese...

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