Verfahrensgang

LG Stuttgart (Aktenzeichen 10 O 232/18)

 

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18.07.2019, Az. 10 O 232/18, wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen jeweils zur Hälfte zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.277,47 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Kläger nehmen die Beklagte auf Schadensersatz wegen Beihilfe zu kapitalmarktrechtlichen Pflichtverletzungen der XX (i.F. auch: XXX) sowie deren Konzernmutter, der YY (i.F.: YYY), in Anspruch.

Die Kläger waren private Aktionäre der XXX . Sie erwarben am 27. März 2015 9 Stück Vorzugsaktien der XXX zum Kurswert von 244,25 EUR und am 29.05.2015 15 Stück zum Kurswert von 203,02 EUR. Insgesamt investierten sie nebst Provisionen etc. 5.277,47 EUR. Die Aktien befinden sich weiterhin im Bestand der Kläger.

Die Beklagte lieferte u.a. an die XXX eine Motorsteuerungssoftware, welche für Dieselfahrzeuge verwendet wurde, die vom sog. "Dieselskandal" oder "Abgasskandal" betroffen sind.

Die XXX produzierte ab 2008 in Serie die als "EA 189" bezeichnete Baureihe von Dieselmotoren. Die Motoren sind mit einer von der Beklagten zur Verfügung gestellten Motorsteuerungssoftware ausgerüstet, welche den Prüfstandslauf erkennt und über eine entsprechende Programmierung der Motorsteuerung insbesondere den Stickoxidausstoß reduziert. Der Motor wird nur unter Prüfstandsbedingungen in den Modus mit höherer Abgasrückführung (Modus 1) und dadurch bedingt geringeren NOx-Werten gebracht, während der Motor im realen Fahrbetrieb (Modus 0) eine geringere Abgasrückführung und damit höhere NOx-Werte aufweist.

Anfang September 2015 räumte VW gegenüber US-amerikanischen Behörden ein, eine als "defeat device" bezeichnete Software in ihren Dieselfahrzeugen verbaut zu haben. Mit Ad-hoc-Mitteilungen vom 22. und 23. September 2015 informierte die XXX den Kapitalmarkt über die Abgasmanipulationen.

Die Kläger tragen vor, sie hätten die Investition in die Aktien unterlassen, wenn sie Kenntnis von dem Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in Fahrzeuge der XXX gehabt hätten. Sie sind der Ansicht, die Beklagte hafte als Gehilfin insbesondere für die Verletzung von Kapitalmarktinformationspflichten durch die XXX und die YYY . Die von der Beklagten gelieferte Software stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, über deren Verwendung die XXX den Kapitalmarkt hätte informieren müssen. Dass die Beklagte vorsätzlich gehandelt habe, zeige sich nicht zuletzt in dem Haftungsfreistellungsverlangen der Beklagten gegenüber der XXX vom 2. Juni 2008.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und bestritten, dass eine beihilfefähige Haupttat vorliege. Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Haftung als Gehilfin lägen nicht vor.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie der Anträge in erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Den Klägern stünden keine Schadensersatzansprüche gemäß § 830 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 325 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 331 Abs. 1, 2 HGB, § 400 AktG, § 37v Abs. 2 Nr. 2 WpHG a.F. sowie nach §§ 37b und 37c WpHG a.F. zu.

Zwar wäre hinsichtlich deliktischer Ansprüche noch keine Verjährung eingetreten, weil diese nach §§ 195, 199 BGB kenntnisabhängig in drei Jahren verjähren würden, und die Verjährung erst mit Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen hätte. Es könne ferner dahinstehen, ob eine beihilfefähige Haupttat der XXX vorliege. Jedenfalls könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte als Gehilfin für die Verletzung von Kapitalmarktinformationspflichten hafte. Die Beklagte habe zwar objektiv mitursächlich zur Verletzung der Kapitalmarktinformationspflichten beigetragen. Bei der Software, die von der Beklagten entwickelt und der XXX zur Verfügung gestellt worden sei und die bei erkanntem Prüfstandslauf eine verstärkte Abgasrückführung aktiviere, handele es sich um eine nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 unzulässige Abschalteinrichtung. Die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen stelle einen Umstand dar, über den der Emittent den Kapitalmarkt informieren müsse, insbesondere im Hinblick auf die erheblichen Haftungs- und Sanktionsrisiken.

Allerdings sei bei der Frage, ob ein potentieller Gehilfe bei der Ausübung seines Berufs ein erlaubtes Risiko überschritten habe, der für diesen geltende Aufgabenkreis zu beachten, und dies nicht abstrakt, sondern re...

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